Rampensau
Sorgen um ihn machen musste. Sie hatte Cecile gebeten, auf ihn zu achten und sofort Laut zu geben, falls es ihm wieder schlechter ging. Che hatte sie keines Blickes mehr gewürdigt, nachdem Edy sie auseinandergetrieben hatte.
»He, Babe.« Wie ein Gespenst tauchte Lunke aus der Dunkelheit auf. »Hast du mich etwa schon erwartet?« Er lächelte selig. »Sehnsucht gehabt, was?«
»Hör endlich mit diesem Babe-Gerede auf!« Kim schaute an ihm vorbei. »Ich möchte, dass wir in den Wald gehen und alles genauso machen wie gestern.«
»Du meinst, wir legen uns in den Farn, glotzen zu deinen Schlappschwänzen hinüber und kuscheln ein wenig?«
»So ähnlich«, erwiderte Kim. »Nur auf das Kuscheln können wir vielleicht verzichten.«
»O nein.« Lunke schüttelte seinen massigen Kopf. »Wenn wir es machen sollen wie in der Nacht gestern, gehört das Kuscheln absolut dazu.« Plötzlich blieb er stehen und musterte sie misstrauisch. »Warum willst du eigentlich alles genauso machen wie gestern?«
Sollte sie ihm von Bertie erzählen – dass er ihr im Traum erschienen war und dass sie ihn unbedingt noch einmal sprechen musste?
Kim zögerte. »Es war einfach recht nett, und ich hatte einen angenehmen Traum«, erklärte sie vage.
»Es war recht nett«, äffte er sie nach. »Das klingt ja verheißungsvoll, aber ich wollte sowieso mit dir reden.« Mit diesen Worten preschte er davon, ohne auf sie zu warten.
Mittlerweile kannte sie sich außerhalb ihrer Wiese so gut aus, dass sie den Weg auch allein fand. Lunke hatte sich im Farn breitgemacht, er schlang übertrieben gierig ein paar Pflanzen herunter, als sie kam. Kim legte sich neben ihn. Die Sonne war bereits hinter den Horizont gesunken. Ein Rest Licht schwebte in der Luft.
»Gestern Nacht bist du deutlich mehr auf Tuchfühlung gegangen.«
Wie gewählt er sich ausdrückte! Auf Tuchfühlung gegangen! Kim lächelte vor sich hin. Dann rückte sie ein Stück näher. Sie roch, dass er sich wieder an einer jungen Eiche gerieben hatte. Außerdem hatte er sich im Waldsee gesuhlt. Unter seinen rauen Borsten spannten sich die Muskeln.
»Bald kommt meine Zeit«, begann er. »Ich muss eine Familie gründen. Die Rauschzeit – du verstehst? Die Bachen sind ganz scharf drauf, mit mir …« Er verstummte abrupt und schob sich neben sie.
Kim schloss die Augen. Wenn sie ehrlich war – so richtig unangenehm war es tatsächlich nicht, neben Lunke zu liegen. Er war stark und konnte sie beschützen. Andererseits – sie brauchte keinen Beschützer.
»… mit mir zusammen. Also, es gibt da die eine oder andere, die mir zu verstehen gegeben hat, dass sie liebend gerne mit mir …« Er stammelte herum. Sie spürte seinen Rüssel an ihrem Ohr.
»Wie schön für dich, dass du so begehrt bist. Dann hast du wohl die Qual der Wahl«, sprach sie gleichmütig vor sich hin.
»Nun ja.« Lunke flüsterte nun beinahe. Kim hielt ihre Augen weiterhin geschlossen. »Auch wenn kleine rosige Hausschweine eigentlich weit unter uns stehen, so haben manche doch gewisse Vorzüge …« Sie hörte ihn atmen. »Ich mag zum Beispiel rosige Haut, und mir gefallen kleine, braune Augen und ein zarter Rücken. Auch deine schmalen Zehen sind irgendwie zum Verlieben …«
Was wurde das? Die Liebeserklärung eines wilden Schwarzen?
»Hör auf damit!«, murmelte Kim. Nun war sie wirklich schläfrig geworden, aber deshalb war sie ja hier – damit der schwebende Bertie ihr erschien, um ihr eine Botschaft mitzuteilen. »Aus uns kann nie was werden – du bist wild und schwarz, und ich bin …«
»Und du? Was bist du?« Lunke tippte sie mit dem Rüssel an, aber Kim hatte das wunderbare Gefühl, dass es sie davontrieb, in ein warmes, gleitendes Wasser, das sie dem lächelnden Bertie entgegentragen würde.
Bertie? Warum kommst du nicht?, rief sie im Schlaf.
Warm und wohlig räkelte sie sich. Dass Lunke sich an sie schmiegte und leise grunzende Geräusche von sich gab, nahm sie nur am Rande wahr. Schlummernd wartete sie auf Bertie.
Bertie – wer war dein Mörder? Diese Frage durfte sie auf keinen Fall vergessen.
Doch nicht etwa das Wollschwein hatte sie mit einem Mal vor Augen, sondern die fette, rosige Paula, ihre Mutter, die ebenfalls längst tot war. Sie machte ein verkniffenes Gesicht und starrte Kim an. Was tust du?, sagte sie, ohne dass sich ihre Schnauze bewegte. Liegst mit diesem Halunken da, statt dich an unseresgleichen zu halten – so etwas hätte man früher auf unserem Hof niemals geduldet.
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