Ramses Mueller
eigentlich, warum der Apfel das Symbol für Sündenfall ist? Also Bibel jetzt.
In Schubals Kopf fliegen jetzt unkontrolliert Wortfetzen, Sündenfall, Lederapfel, quittenzäh, wie Gene in der Ursuppe, er kann sich schlecht konzentrieren, der baumelnde Wunderbaum vorn am Rückspiegel des Taxifahrers verströmt wenig Geruch, dafür mehr Hohn, und dann glotzt der auch noch so niederträchtig nach hinten, der Fahrer, ein Rabenschwarzer, aus Afrika vermutlich, Schubal fühlt sich nicht wohl, mit halbem Auge schaut er zu Armin, aber der schaut aus dem Fenster und drückt in die beschlagene Scheibe einen sogenannten Eumel, das kennt er noch aus seiner Schulzeit, wenn er frühmorgens im Bus saß, verschlafen, er drückt seine Faust mit der Kleinfingerseite in das Kondenswasser der Scheibe, das ist der Eumel, was ist eigentlich das widerlichste Wasser, Kondenswasser in so einem Taxi, ausgeblasen durch diesen ekelhaften Dialekt, das würde man ja nie trinken wollen, auch bei größtem Durst in der Wüste nicht, was mit eingefrorenem und wieder aufgetautem Würstchenheißmachwasser oder dem Zeug, das aus Klimaanlagen tropft, z. B. aus Peepshows oder aus dem Kühlraum, wo die halben Schweine hängen, oder die Pathologie, wo sie Tote aufbahren, also Leichendunst, was da noch so alles entweicht, ihm ist nicht ganz wohl, schnell an das gemütlich gluckernde Wasser in den Heizkörpern oder besser an Bügelwasser denken, das verdrängt die schlechten Flüssigkeiten schnell durch Freundlichkeit und Sympathie, das hilfsbereite Wasser, er könnte schon wieder Durst haben.
– Ein Apfel hat oben den Stiel, den Stängel, und unten die Blüte, die verdorrte, die sieht aus, na ja, wie das Weibliche, und das ist das Symbol für das universelle Geschlecht.
– Das universelle quittenzähe Geschlecht? Klingt wie Handke, die andersgelben Nudelnester, das hängt dem jetzt ewig nach, das stand in seinem Serbienverteidigungspamphlet.
Wie dumm sie sich vorkommt, wie eine Erdnuss, natürlich sagt man beim Obst nicht Marke, sondern Sorte, aber nun hat sie es ja mal gesagt, jetzt muss es da stehen bleiben, im fahrenden Taxi, was für eine Scheißsituation, aber doch irgendwie auch egal, immer noch tiefer gehen, und dann darauf aufbauen, ein Haus mit den Rommeekarten zum Beispiel, na ja, bisschen wacklig.
– Hier, für dich, ist Christoph.
Ramses reicht sein Handy nach hinten zu Armin, der starrt entsetzt in die Runde
– Hallo? Pause, alle hören der Pause zu.
– Ja, freut mich auch, wir kommen dann gleich auch, also mit Ramses, also ich bring dann noch wen mit, guter Freund von mir.
Schubal ist entsetzt, erschreckt wie eine Katze bei splitterndem Glas.
– Das Buch? Welches Buch soll ich mitbringen?
Armin wird nervös, es stört ihn, irritiert ihn extrem, dass ihm der vollkommen unbekannte Christoph Schlingensief offenbar ein Buch geliehen hat, hier stimmt zweimal nichts, um nicht noch alles zu verkomplizieren, antwortet er kamikazeartig: Ja, ich hab das Buch bei mir, bis gleich.
Er reicht das Handy wieder nach vorn zu Ramses, sein Blick, der eines fragenden Karpfens, der nicht nur jetzt einen rostigen Haken im Maul hat, während er nach Luft schnappt, zu viel für ihn, und jetzt haut man ihm auch noch auf den Kopf, warum DAS JETZT auch noch? Wieso kennt Schlingensief ihn? Welches Buch? Der Stress gerinnt, die Magermilch wird sauer.
Armin sieht aus wie ein gefoppter Stallbursche, wieder arbeitet es in ihm, er bekommt Zahnschmerzen, die sich hoch zu seinem linken Auge ziehen. Welches Buch, Himmelherrgott, welches Buch, welches Buch? Er hat nur ein Buch in der Jackentasche, Pablo Nerudas Ich bekenne, ich habe gelebt , er hat das schon lange bei sich, er liest das immer häppchenweise in der U-Bahn, im Bus, im Wartezimmer, er kommt nicht weiter, schon seit Jahren nicht, es geht um einen Mann, der sich so durchmogelt, alle möglichen Hilfsjobs annimmt, Fensterlamellen putzen z. B., prima Buch, aber weil er es schon so lange mitschleppt, auch dementsprechend abgeschabt, er würde es Schlingensief geben, die Chancen stünden eins zu einer Milliarde, dass es das Buch ist, von dem Schlinge sprach. Schlinge nennt er ihn schon in seiner Verzweiflung, um ihm näher zu sein, ein ausgedachtes kumpelndes »Schlinge«, Synonym für das, worin sich sein Hals immer und jetzt ganz besonders befindet, na ja, so ausweglos scheint es nicht zu sein, dass nicht immer noch ein Wortspielchen drin ist, er grinst nach innen. Sie erreichen ein neoklassizistisches
Weitere Kostenlose Bücher