Rasheed, Leila
eine Abendrobe an und hatte Angst, alles falsch zu machen. Aber Lady Ada schien gar nicht richtig bei der Sache, und Rose konnte sich entspannen. Geschickt löste sie die Korsettschnüre und drapierte den Unterrock korrekt um Lady Adas Taille und Hüften. Sie strich den Stoff glatt und kniete sich hin, um auch den Saum zu ordnen; dann blickte sie auf, um zu sehen, ob Lady Ada zufrieden war. Aber die Frage »Ist es so recht, Mylady?« erstarb auf ihren Lippen, als sie den flehentlichen Ausdruck in Lady Adas Augen sah.
Rose senkte instinktiv den Blick und fuhr fort, den Unterrock zu bearbeiten. Ihre Hände zitterten leicht. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Lady Ada sah so verzweifelt aus. Als wäre Rose – ausgerechnet sie – ihre letzte Hoffnung.
Ich muss tun, als hätte ich nichts bemerkt, dachte sie. Ich würde mir eine unverzeihliche Freiheit herausnehmen, wenn ich fragen würde, was los ist. Dienstboten geben keinen Kommentar zu den Gefühlen oder Worten der Ladys und Gentlemen ab. Sie sehen, hören und sprechen nur, wenn sie dazu aufgefordert werden.
Aber mit Lady Ada war es anders als mit den anderen Ladys und Gentlemen. Sie waren vor langer Zeit einmal Freundinnen gewesen.
Rose blickte auf. Lady Ada presste die Lippen fest zusammen, als wolle sie Tränen unterdrücken.
Rose ließ den Saum des Unterrocks fallen, erhob sich rasch und legte die Hand auf Lady Adas Schulter. Sie hörte sich fragen: »Mylady, kann ich – kann ich helfen?«
Ada schluckte sichtlich, und Rose konnte sehen, wie sie sich zwang, ruhig zu atmen. Was immer Lady Ada zu sagen hatte – es war ihr sehr wichtig.
Ada errötete und konnte Rose nicht in die Augen schauen. »Wenn ich …«, begann sie, »wenn wir … wenn ich jemand treffen müsste, Rose, und niemand dürfte davon erfahren, und wenn er in diesem Haus wäre, und …«
»Er?«, rutschte es Rose heraus, bevor sie sich bremsen konnte. Lady Ada wollte einen Mann treffen?
Lady Ada machte ein erschrockenes Gesicht, und Rose wurde sich bewusst, dass sie zum ersten Mal eine Lady unterbrochen hatte. Ein schrecklicher Verstoß gegen die Etikette. Aber Lady Ada schien ihr das nicht übelzunehmen; die Worte drängten weiter aus ihr heraus. »Ich habe mich gefragt, ob Sie mir wohl sagen können, wie ich Mr Sundaresan treffen könnte – unter vier Augen?« Am Ende der Frage versagte Ada fast die Stimme.
Einen Moment lang war Rose sprachlos.
Du liebe Zeit, dachte Rose. Lady Ada war verliebt, und das auch noch in diesen indischen Gentleman. Sie tat ihr furchtbar leid – es lag doch auf der Hand, wie unschicklich und aussichtslos das war.
»Sie sehen, ich … wir …«, stammelte Lady Ada.
Rose merkte, dass Lady Ada drauf und dran war, sich zu vergaloppieren. Ihr Instinkt warnte sie, dass sie ihrer Lady auf keinen Fall erlauben durfte, mit ihren Gefühlen herauszuplatzen – zu ihrem eigenen Besten. Lady Ada würde ewig bereuen, dass sie ihrer Zofe ihre Verletzlichkeit gezeigt hatte; dieser Moment würde immer zwischen ihnen stehen. Nein, sie würden Versteck miteinander spielen müssen.
Rose tauchte hinter Lady Adas Rücken ab, um ihr schockiertes Gesicht zu verbergen, und begann ihr Korsett zu schnüren. Lady Ada, der die Röte bis in den Nacken gestiegen war, setzte erneut zum Sprechen an, da zerrte Rose mit einem Ruck an den Schnüren. Lady Ada keuchte auf.
»Oh – Entschuldigung, Mylady – wenn Sie jetzt bitte einatmen möchten.« Rose zog das Fischbein noch enger zusammen, die Schnüre schnitten ihr in die Finger. Ihre Gedanken arbeiteten fieberhaft. Sie brauchte nichts weiter zu tun, als die ganze Zeit zu plappern, genau wie Martha. Das konnte doch nicht so schwer sein! Und wenn Lady Ada noch einen Funken Verstand hatte, würde sie mitspielen.
»Ich mache ja die Zimmer der Gentlemen.« Sie wünschte, ihre Stimme klänge nicht so schrill. Während sie die Schnüre durch die Ösen fädelte, fuhr sie fort: »Ich gehe dort den ganzen Tag ein und aus. Wenn mir dabei etwas aus der Tasche fiele, würde es ganz bestimmt … jemand finden.« Ob das zu plump war, fragte sie sich.
Einen Moment lang herrschte Schweigen. Als Lady Ada wieder zu sprechen begann, war sie etwas atemlos, weil das Korsett so einschnürte, aber sie hatte das Spiel begriffen. »Ja, natürlich.«
»Wahrscheinlich muss ich in die Zimmer, wenn Sie beim Dinner sind … ein paar Sachen ausbessern.« Ich finde bestimmt etwas, was ich ausbessern kann, dachte Rose. Gentlemen haben doch immer abgerissene
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