Rasheed, Leila
hatte, hierherzukommen.
Und dann war da noch Ravi. Seit Emily sie vom Bahnhof abgeholt hatte, hielt sie angespannt nach ihm Ausschau, in ängstlicher Erwartung, sie könnten einander über den Weg laufen. Halb sehnte sie sich danach, halb schalt sie sich für ihre Schwäche. Eine neue Begegnung würde alles nur noch komplizierter machen. Sie hatte ihm gesagt, dass sie sich nie mehr wiedersehen dürften, und sie musste sich an ihr Wort halten.
Und dann war er einfach da. Er schlenderte ihr auf dem Weg entgegen, umwerfend attraktiv in seinem weißen Leinenanzug.
Hätte sie einen Moment Zeit zum Überlegen gehabt, hätte sie vielleicht an ihm vorbeigehen und so tun können, als hätte sie ihn nicht gesehen. Aber er nahm sie im selben Moment wahr, in dem auch sie ihn sah. Freudig überrascht leuchtete sein Gesicht auf, und auch sie konnte das Lächeln, das sich über ihr ganzes Gesicht ausbreitete, nicht unterdrücken. Ein Blick genügte, die Eisschicht um ihr Herz, von deren Existenz sie gar nichts geahnt hatte, bekam Risse und schmolz unter der sanften Berührung seines Blicks einfach weg.
Er blieb vor ihr stehen und lächelte unsicher, halb freudig, halb ängstlich. Sie standen mitten auf dem Weg und hatten die Welt, die sich rings um sie weiterdrehte, vergessen. »Irgendwie hatte ich gedacht, dass wir uns vielleicht auf diese Weise wiedertreffen würden«, sagte er sanft. »Ich wusste, dass es bei den Wellingboroughs nicht das letzte Mal gewesen sein konnte. So grausam würde das Leben einfach nicht sein.«
Sie schlug die Augen nieder, erinnerte sich an ihren leidenschaftlichen Kuss, an die brennenden Schneeflocken auf ihren nackten Armen.
»Ich möchte mich für mein Benehmen entschuldigen«, fuhr er fort. »Ich war ein eifersüchtiger Narr.«
Rasch blickte sie wieder hoch. »Und ich wollte Sie nicht provozieren«, sagte sie. »Ich empfinde nichts für Lord Fintan. Aber ich habe einen Vorwand gebraucht, damit ich an diesem Dinner teilnehmen kann, um Sie zu sehen; er hat mir diesen Vorwand geliefert.«
»Ich glaube Ihnen. Ich schäme mich, dass ich mich so von meiner Unsicherheit habe hinreißen lassen.«
»Und ich schäme mich für meinen Zorn.«
Sie lächelten einander an. Ada fühlte sich glücklich wie nie.
»Darf ich Sie begleiten?«, fragte er. »Sind Sie allein hier?«
Ada nickte. »Das heißt, ich besuche Lady Emily Maddox. Sie war so freundlich und hat für mich ein Gespräch mit Miss Gorman arrangiert.« Sie gingen nebeneinander her, die Arme dicht an dicht, aber ohne sich zu berühren. Ada versuchte die Erinnerung an seine Umarmung abzuschütteln.
»Und?«
»Es war ein gutes Gespräch. Sie hat mich sehr ermutigt, aber alles hängt von meinem Vater ab …« Sie seufzte.
»Glauben Sie nicht, dass er sich überreden lässt?«
»Ich weiß nicht. Ich kann es nur versuchen. Und das werde ich auch. Mein Besuch hier macht meinen Wunsch, hierherzuziehen und zu studieren, nur noch stärker. Lange kam mir Oxford vor wie ein Traumland, aber jetzt ist es real und greifbar.«
»In mancher Beziehung ist es auch ein Traumland«, sagte er.
Er klang nicht ganz glücklich, und Ada sprach hastig weiter, weil sie diesen Moment nicht verderben wollte. »Die Aufnahmeprozedur hört sich schrecklich kompliziert an. Anscheinend kann ich zwischen zwei Prüfungen wählen, der Oxford-Seniors-Prüfung oder der Scholarship-Prüfung, die mir ein Stipendium verschaffen würde. Mit der Scholarship-Prüfung brauche ich es wohl gar nicht erst zu versuchen, die ist nur für die vielversprechenden Kandidaten gedacht.«
»Warum in aller Welt sollten Sie es nicht versuchen? Ich habe auch ein Stipendium bekommen. Und Sie sind genauso intelligent wie ich, also sehe ich nicht, was dagegen spräche.«
Ada errötete. »Ich möchte nicht riskieren, durchzufallen. Dann wäre alles vorbei.«
»Manchmal muss man eben etwas riskieren«, sagte Ravi mit einem unüberhörbar bedeutungsvollen Unterton.
Ada fuhr schnell fort: »Und wie geht es Ihnen? Erzählen Sie mir, was Sie seit unserer letzten Begegnung gemacht haben.«
»Ich habe studiert. Und viele Versammlungen besucht.«
»Politische Versammlungen?«
»Ja. Eine Ortsgruppe des INC trifft sich in London.« Er warf ihr einen kurzen Blick zu. »Ich weiß, dass Sie das nicht gutheißen …«
»Ich habe Angst um Sie«, fiel sie ihm ins Wort. »Über den extremen Flügel werden so furchtbare Dinge berichtet. Ich möchte nicht, dass Sie in Gefahr kommen.«
Er legte ihr tröstend die
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