Rashminder Nächte 2 (German Edition)
haben, um jeden Preis!
~*~
„Bist du sicher?“, fragte Eryk schon zum dritten Mal.
„Nein, natürlich bin ich nicht sicher, deshalb hab ich aus purer Langeweile sechs Mal alles kontrolliert und werde es auch gerne noch hundertdreiundzwanzig Mal wiederholen, bis du endlich zufrieden bist oder der Himmel aufreißt und die Götter persönlich uns Erleuchtung schenken!“ Kaiden zwang sich aufzuhören und raufte sich die Haare, überreizt und angespannt. Sie befanden sich unmittelbarer Nähe von Naxanders Landhaus. Ein weitläufiges Bauwerk mit dem verspielten Charme der architektonischen Gepflogenheiten aus der Hokaru-Periode. König Hokaru hatte während seiner fast siebzigjährigen Regentschaft viele Schlösser, Theater und Prunkbauten aller Art im ganzen Land errichten lassen, die vor allem durch unzählige zierliche Details gekennzeichnet waren. Fresken, die nur von einem einzigen Standpunkt aus vollständig sichtbar waren, Inschriften, die zu bestimmten Zeiten des Jahres von der Sonne beleuchtet wurden, steinerne Blüten, die das Gebäude einrahmten und vieles mehr. Der Fantasie war keine Grenze gesetzt. Dazu gehörte, wann immer möglich, ein Garten oder Parkanlagen, die wenig von durchdachter Ordnung, dafür umso mehr von Licht- und Wasserspielen und ganzjähriger Blumenpracht aufwiesen. Es war sehr kostspielig, ein solches Anwesen zu pflegen, darum waren leider viele Hokarubauten mittlerweile abgerissen oder umgestaltet worden. Naxander besaß gewiss das Geld, sich etwas so Schönes leisten zu können. Es verwirrte Kaiden allerdings ein wenig, dass der Fürst etwas bewohnte, das das Gegenteil seiner sonst üblichen Vorliebe für Struktur, Ordnung und Sicherheit bedeutete.
Vielleicht betrachtete er dieses Haus eher als Kunstwerk und kostbares Sammlerstück?
Der Vorteil aus ihrer Sicht bestand darin, dass es leicht gewesen war, sich dem Haus ungesehen zu nähern. Ihr reichlich verzweifelter Plan sah vor, so zu tun als wollten sie die Statue ernstlich stehlen, sich beinahe erwischen zu lassen und dann zu fliehen, so schnell sie nur konnten. Das Problem war – es würde nicht funktionieren. So oft Kaiden auch suchte, er fand keinen Weg, wie sie sicher hinein- und wieder herauskommen konnten.
„Es ist sinnlos“, murmelte er erneut. „Wir gehen zurück und versuchen es morgen Nacht wieder. Wenn wir jetzt stur durchziehen, erleben wir den Sonnenaufgang nicht mehr.“
Auch das hatte er bereits ein halbes Dutzend Mal vorgeschlagen. Eryk wollte hingegen auf gar keinen Fall noch eine Nacht unter irgendeinem tropfendem Gestrüpp verbringen müssen, das keinerlei Schutz vor dem beständigen widerlichen Schneeregen und eisigen Sturmböen bot. Sie hatten kein Geld mehr, nicht ein einziges kümmerliches Kupferstück, und hatten bereits zweimal draußen übernachten müssen. Sie waren völlig durchweicht, müde, hungrig und von heftigen Streitigkeiten zermürbt. Seit drei Tagen schon war die Anspannung stetig gestiegen, weder Kaiden noch Eryk wollte in die Nähe von Naxander geraten. Wahrhaftig, sie waren das Gegenteil von kühnen Abenteurern, die bereit waren ihr Leben zu opfern, um das Böse in dieser Welt zu besiegen.
Eryk ließ sich mit einem frustrierten Schnauben gegen den Stamm der alten Linde sinken, in dessen Geäst sie ihren Beobachtungsposten bezogen hatten. Hier waren sie vor feindlichen Blicken geschützt, konnten sich ungestört gegenseitig beschimpfen, befanden sich außerhalb der magischen Schutzlinie und konnten dennoch das Haus einsehen, auch wenn kein einziges Fenster erleuchtet war.
Kaiden hatte wirklich alles Mögliche ausprobiert. Wege ins Haus, Wege zu einem Hilfsmittel, um ins Haus zu gelangen, Wege zu Personen, die ihnen helfen könnten, oder zu Personen, die ihnen sagen könnten, wo Hilfe zu finden wäre – alles Fehlschläge.
„Sobald ich den Ort suche, wo wir auf gar keinen Fall hingehen sollten, finde ich das Haus. Suche ich den Ort, wohin wir stattdessen gehen sollten – finde ich das Haus. Wir sind in einem Paradox gefangen, woran Torgens Fluch Schuld trägt. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Wir gehen unter, wenn wir es heute versuchen, bitte glaub mir doch!“
„Ist ja gut!“, lenkte Eryk aggressiv ein. „Ich weiß, dass es sinnlos ist. Lass uns irgendwo unterkriechen, such einen geeigneten Schlafplatz. Bitte etwas trockener als der gestrige, wenn es geht.“
Noch ein Punkt, der in den letzten Tagen, beziehungsweise Nächten, für Anspannung gesorgt hatte.
Weitere Kostenlose Bücher