Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
Verweis ›Angestellte der
Kinderfachabteilung‹ war zu lesen.
Emilie sah
Martin kommen und löste sich aus der Umarmung. Wie hatte Catharine es nur geschafft,
eine derartige Nähe zu Emilie herzustellen? Emilie rieb sich die Tränen aus den
Augen und stellte sich vor die Fotografie. Leise begann sie zu sprechen.
»Erst war
mir langweilig und ich hab mich geärgert. In dem blöden Auto sitzen bleiben. Nur
rausgucken die ganze Zeit.« Mit Tränen in den Augen sah Emilie Martin böse an. Dann
schaute sie wieder zu Catharine. »Aber dann fiel mir etwas ein, von damals. Als
ich zu dem Haus sah, hatte ich ein Bild vor Augen. Dasselbe Haus ohne die
ganzen Bäume drum herum. Die gab es damals nicht. Dieselben Steine, dasselbe Dach,
dieselbe Treppe. Dann bin ich ausgestiegen und hierher gekommen, aber Sie waren
nicht da. Und dann sah ich all die Bilder an den Wänden und hab mich erinnert. An
damals und … an die Männer.«
Catharine
ergriff das Wort. »Sie hat sich die Bilder wie eine ganz normale Besucherin angesehen
und fiel plötzlich in eine seltsame Starre. Ich hatte sie erst gar nicht bemerkt,
weil ich im Nebenraum war. Ich hörte ein Geräusch und habe sofort nachgesehen. Ich
hab mich furchtbar erschrocken. Ich wusste ja nicht, dass sie diePerson
aus Ihrem Wagen ist. Sie stand vor der Vitrine und bewegte keinen einzigen Muskel,
wie eine Statue. Sie reagierte auch nicht auf meine Ansprache und auf Berührungen.
Ich habe so etwas erst ein Mal gesehen, drüben in der Geschlossenen.« Martin verschränkte
die Arme und nickte. Erinnerungen an die Szene im Restaurant wurden lebendig.
»Wie lange
hielt ihr Anfall an?«
»Nach circa
zehn Minuten ist sie von allein wieder aufgewacht und fing sofort an zu weinen.
Sie klang wie ein kleines Mädchen, als befände sie sich in der Vergangenheit, in
der sie sich an etwas erinnert.«
Martin stellte
sich neben Emilie, direkt vor die Vitrine.
»Zeigen
Sie uns die Männer, Emilie«, forderte Martin sie mit ruhiger Stimme auf.
Der knochige
Zeigefinger deutete zitternd auf das Foto des älteren Mannes, Prof. Kranitz, und
auf den jüngeren, Dr. Richard Fürst. Martin erkannte ihn jetzt, da er ein ähnliches
Bild in Kellers Akten gesehen hatte. Er wandte sich an Catharine Bouschet und führte
sie einige Schritte aus Emilies Hörweite.
»Sie wissen
nicht, wer diese Leute sind, oder?«
»Bisher
noch nicht, aber ich habe das Gefühl, das wird sich gleich ändern.«
»Emilie
hat sie erkannt. Das sind die Monster, die Experimente und Tests an ihr ausprobiert
haben. Aber sie hat es überlebt, und jetzt ist die Zeit der Vergeltung gekommen.«
»Wie meinen
Sie das?«
»Wir suchen
seit Tagen fieberhaft nach Beweisen, um diesen widerlichen alten Kerl vor Gericht
bringen zu können, aber es fehlen uns die letzten Beweise. Offensichtlich gab es
nur wenige Kinder, die dieses Martyrium überlebt haben, und wenn, waren sie derart
behindert, dass sie die Täter nicht identifizieren konnten. Frau Braun muss es irgendwie
geschafft haben, bis Kriegsende durchzuhalten.«
Martin schnaufte
die ganze Anspannung der letzten Stunde in einem Atemzug heraus. »Na ja. Das ist
eine lange Geschichte. Ich würde sie Ihnen gern mal bei einem Glas Wein erzählen.
Sie haben mich heute echt gerettet.«
Frau Bouschet
hob die Augenbrauen und lächelte. Martin strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Noch haben wir die Kuh nicht vom Eis. Ich brauche Beweise, dass diese Typen sich
wirklich an der Euthanasie beteiligt haben, vor allem Dr. Richard Fürst. Ich brauche
Aufzeichnungen, OP-Protokolle, Testergebnisse, irgendwas, was ich dem Mistkerl um
die Ohren hauen kann. Ich muss dringend diese anderen Unterlagen sehen. Das ist
meine letzte Chance. Ich wüsste von keinem anderen Archiv, in dem ich noch suchen
könnte.«
»Sie lagern
nebenan, in einem Nachbargebäude. Die Akten sind teilweise bis zur Unkenntlichkeit
verschimmelt. Wir haben sie zum Trocknen ausgebreitet, damit sie nächste Woche katalogisiert
und archiviert werden können.«
»Bis nächste
Woche kann ich nicht warten. Ich muss sie jetzt sehen.«
»Okay. Ich
kümmere mich so lange um Frau Braun. Sie scheint ja vollstes Vertrauen zu mir zu
haben. Außerdem könnte ich mir vorstellen, dass sie nun vieles erzählen wird, worüber
sie Jahrzehnte geschwiegen hatte.«
»Sie hat
alles in einer Kladde aufgeschrieben. Es ist ziemlich schwer zu lesen. Sie hat ihre
Erlebnisse in einer Art komplexer Lyrik verschlüsselt, als hätte sie Angst gehabt,
es offen
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