Rassenwahn: Kriminalroman (German Edition)
nichts. Wenn ich den Job verliere, soll das eben so sein. Das ist
mir nach all dem, was ich in den letzten Tagen erlebt hab, nicht mehr so wichtig.«
»Was ist
dir denn wichtig?«
Martin wartete
einen Augenblick und überlegte, ob er die Worte, die er ihr sagen wollte, wagen
sollte. Manche Dinge hatten an Bedeutung verloren und andere an Bedeutung gewonnen.
Er hatte sich für die Wahrheit entschieden und sah sie mit dem gesunden Auge lächelnd
an.
»Du bist
mir wichtig.«
Catharine
zögerte einen Augenblick, näherte sich seinen Lippen und gab ihm einen weiteren
zarten Kuss, nur dass dieser deutlich länger und intensiver ausfiel als der erste.
Kapitel 65
Hamburg-Norderstedt, 26. November
2010
Mit Werners Zweitwagen, einem VW
Golf Automatik, näherte sich Martin gegen 10.20 Uhr dem Gelände des Landeskrankenhauses.
In seiner Unentschlossenheit und weil er eh nichts Besseres zu tun hatte, war er
viel zu spät von zu Hause aufgebrochen. Der Besucherparkplatz war bis auf den letzten
Platz besetzt. Er parkte den Golf mit der Polizeiplakette direkt vor dem Eingang.
Martin trug
den einzigen Anzug, den er besaß, und hatte die Jacke lässig über die Schultern
gehängt. Der rechte Arm hing noch, knapp zwei Wochen nach der OP, in einer Schlinge
und die Hand war eingegipst. Die Grippe hatte sich endlich verflüchtigt, und doch
benötigte er hohe Dosen eines Schmerzmittels, um die täglichen Verrichtungen erledigen
zu können. Mit demselben mulmigen Gefühl, das er seit jeher hatte, wenn er diese
Institution betrat, suchte er den Vorlesungssaal der Klinik, in dem die Feierlichkeiten
zu Ehren von Professor Keller stattfinden sollten. Das Programm war in vollem Gange.
Begonnen
hatte es mit einer monotonen, allgemein gehaltenen Ansprache des Präsidenten der
Ärztekammer von Hamburg. Er bemühte sich vergeblich, die Zuhörer in seinen Bann
zu ziehen.
Man lauschte
den Klängen eines Miniorchesters, bestehend aus zwei Geigern, einem Pianisten und
einem Cellisten. Dieser Beitrag schien die Zuhörer weder zu ermüden, denn zu erheitern.
Martin betrat
den Saal und störte die Feierlichkeiten durch sein unbehändes, einarmiges Eindringen.
Die Tür fiel hinter ihm mit einem metallischen Scheppern ins Schloss, das voller
Boshaftigkeit von allen Wänden des Saales widerzuhallen schien und ihm die Röte
der Peinlichkeit ins Gesicht trieb. Die Hälfte der Anwesenden sah sich nach dem
Mann um, der nicht zu den honorigen Gästen zu passen schien. Bärtig, langhaarig
und mit blauen und gelben Hämatomen in der linken Gesichtshälfte. Möglicherweise
sogar ein Patient der Klinik.
Eine Minute
später hatte man ihn vergessen.
Martin wählte
einen Stuhl in der letzten Reihe, direkt neben dem Fotografen, der für ihn eigens
seine Tasche auf den Boden stellen musste, um ihm Platz zu machen.
Pohlmann
schlug das rechte Bein über das linke und sah sich um. Er erkannte den Großteil
des Personals, das auf jener Station arbeitete, in der Annegret Kaschewitz und Lars
Dräger ihren Dienst verrichtet hatten.
Diese beiden
Personen fehlten aus verständlichen Gründen.
Weiter vorn,
in der zweiten Reihe, entdeckte Martin Dr. Schillig. Schillig würde ihn mit eisiger
Missachtung strafen, falls er ihm gegenüberstehen würde. Er hatte gegen ihn eine
Dienstaufsichtsbeschwerde eingeleitet, die auf Schöller seniors Schreibtisch zuoberst
lag und nicht zuletzt für seine Suspendierung das Zünglein an der Waage ausgemacht
hatte.
Der zweite
Redner war der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde , Prof. Dr. Herbert Weinrich. Der Professor beleuchtete das
Leben von Hans Keller und erwähnte vor allem seinen unermüdlichen Einsatz für die
Belange jener Menschen, die in einem Lebensbornheim zur Welt gekommen waren und
unter seiner Schirmherrschaft Trost, Beistand und Lebenshilfe erhalten hatten. Weinrich
ehrte Keller als einen Mann der selbstlosen Tat, der ehrenhaften Hingabe an jene
Menschen, die ihm anbefohlen waren. Er nannte ihn ein Vorbild der gesamten Ärzteschaft,
der seinesgleichen in dieser Zeit der Profitgier, der Kassenbudgetierung und der
überflüssigen Gesundheitsreformen suche.
Es folgte
ein Musikstück von Tschaikowsky, das dem ernsten Rahmen der Veranstaltung angemessen
war. Es hätte ebenso bei einer Beerdigung gespielt werden können.
Der dritte
und letzte Redner war für Martin eine Überraschung. Martin besaß kein Programmheft
und hatte den Redner durch die Köpfe
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