Ratgeber & Regenten 01 - Die Bluthündin
werden!«
Matteo runzelte die Stirn. Jordaini hielten oft öffentliche Debatten oder Monologe ab, aber stets nur auf Geheiß ihrer Patrone und niemals an einem so gewöhnlichen Ort. Seine Verwunderung nahm noch gewaltigere Züge an, als ein kleiner, schmaler Junge auf den Tisch stieg und den traditionellen Salut an die Wahrheit vollführte, jedoch mit dem Mittelfinger, nicht mit dem vorgeschriebene Finger. Ganz offensichtlich war er mit den Gebräuchen der Jordaini nicht gut vertraut.
Die Gäste trampelten, johlten und schlugen mit ihren Krügen auf die ramponierten Tische. Der Möchtegern-Jordain nahm den Applaus zur Kenntnis und verbeugte sich auf die traditionelle Weise, indem er den Oberkörper von der Taille an vorbeugte, dabei den Blick aber nicht nach unten richtete. Er beschrieb die Bewegung fehlerfrei, dennoch war sie unterschwellig von Hohn und Spott erfüllt. Seine Miene und seine Bewegungen erzeugten eine Atmosphäre, die herablassend wichtigtuerisch war und auf eine überzogene und grelle Weise Schwäche demonstrierte. Einige Matrosen lachten, und ein Mann mit schwarzem Bart warf ihm eine derbe Beleidigung an den Kopf.
Der Junge ließ das nicht auf sich sitzen und reagierte mit einem Zwinkern, das aus seiner Beleidigung eine Einladung machte. Darauf lief der Mann dunkelrot an, während seine Kameraden vor Vergnügen wieherten und auf den Tisch schlugen.
»Bedenkt die Sternschlange«, sagte der Junge mit einer kraftvollen Altstimme. »Dies ist ein Rätsel, das sogar Königin Beatrix persönlich in Verwirrung stürzen würde.«
Die Bemerkung löste erneutes Gelächter aus, während sich Matteo am Kinn kratzte und über das Rätsel nachdachte, das sich vor seinen Augen abspielte – nicht über das Rätsel der Sternschlange. Der Junge war ein Straßenbalg, doch er sprach in kraftvollen, wohlmodulierten Tönen, die zu erlernen und zu üben man Jahre brauchte. Noch mehr irritierte ihn aber, daß ihm die Stimme sonderbar vertraut vorkam. Es gab nur wenige weibliche Jordaini, und dieser Junge imitierte perfekt die Stimme und den Tonfall der berühmtesten Jordain: Cassia, Beraterin König Zalathorms persönlich.
Das erklärte auch das Lachen der Gäste. Es kursierte ein Gerücht, daß die Liebe zwischen dem Magierkönig und Beatrix, seiner Königin, etwas von ihrem Glanz verloren hatte. Zweifellos hatte die Jordain einige dieser Gerüchte in Umlauf gebracht. Sie war stolz auf ihren Posten, doch manche sagten, ihr Stolz sei, ebenso wie ihr Ehrgeiz, zu groß.
Was daran stimmte, konnte Matteo nicht sagen, aber ihm war zu Ohren gekommen, daß die Jordain alles tat, um an der Seite des Königs zu sein. Sie hatte im Haus Jordain gesprochen, und Matteo würde eher seinen Namen vergessen als den Klang ihrer Stimme. Und hier war sie wieder, aus dem Mund dieses unpassenden Sprechers!
Der Junge machte weitere Bemerkungen und zog über die Schwächen am Hof und die Anmaßungen der Jordaini her. Der Hausmagier nickte lächelnd, doch allmählich verfinsterte sich seine Miene, als das Thema zu Magiern und ihren Schrullen schwenkte.
»Das gefällt mir nicht«, murmelte er.
Matteo spielte mit dem Gedanken anzumerken, der Vortrag werde nun allmählich amüsant, aber er kam zu der Ansicht, daß eine solche Bemerkung die Diskretion hätte vermissen lassen, die sein Rang erforderte. »Der Junge hat Talent«, sagte er, weil er das für eine neutrale Bemerkung hielt.
Aus irgendeinem Grund erheiterten seine Worte den Magier, der den Kopf in den Nacken warf und herzhaft und grell lachte. In seinen Augen funkelte boshafte Zufriedenheit, als er seinen Gast ansah. »Dann stimmt es also, was man über euch sagt?«
Matteo wünschte sich, mit einem Schlag das gehässige Lächeln von den Lippen des Magier verschwinden zu lassen. »Ihr seid mir gegenüber im Vorteil, mein Herr«, sagte er förmlich. »Mir ist nicht klar, auf welchen Tratsch Ihr Euch bezieht.«
Das Lachen verschwand vom Gesicht des Mannes. Tratsch wurde als vulgär angesehen, und Matteos höfliche Worte waren nichts weiter als eine notdürftig getarnte Beleidigung.
Ehe der Mann etwas sagen konnte, erfüllte ein dröhnendes Knurren den Raum. Stille machte sich in der Taverne breit, und als sich Matteo zur Tür umdrehte, entwich ihm ein Fluch, der ihm einen respektvollen Blick des Matrosen am Nebentisch einbrachte.
In der offenen Tür kauerte Mbatu. Sein Schwanz zuckte wie eine Peitsche, sein wütender Blick fixierte den Jungen. Blitzschnell hatte der den Tisch
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