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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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wäre es ganz toll und dann würde ich
furchtbar leiden und an unerfüllter Sehnsucht ersticken, wenn du zu deiner Frau
nach Brasilien zurückgehst. Und dass du das tust, ist ja wohl klar. Die andere
Möglichkeit ist, dass es überhaupt nicht toll wäre — und dann können wir es von
vorneherein sein lassen.“
    „Also,
nach meiner Meinung wäre es ganz toll“, meinte Ricardo, konsterniert von so
viel deutsch-nüchterner Negativ-Logik. „Eben“, setzte ich noch eines drauf,
„und darum machen wir es auch nicht.“
    Um
ehrlich zu sein, bin ich keine dermaßen fromme Helene, dass mich allein
Ricardos Familienstand von einer Liebesnacht abgehalten hätte. Es kam aber noch
das schwerwiegende Problem hinzu, wo sie denn stattfinden sollte — diese Nacht.
    In
Molinaseca hatte ich, anders als in Azofra, kein eigenes Hospitalera-Zimmer,
sondern schlief in einem Stockbett im Pilgerschlafsaal. Sollten wir uns etwa
allen Ernstes in meinem oder seinem knarzenden Bett einander widmen, umgeben
von schnarchenden Pilgern, und unsererseits bemüht, niemanden durch Lustseufzer
zu wecken? Als Alternative hätten wir in eines der zugigen, schmuddeligen Zelte
neben der Herberge ausweichen können, die als Notquartiere dienten und die in
dieser kalten, regnerischen Nacht wohlweislich leer geblieben waren.
    Auf
die Idee, ein Pensionszimmer im Ort zu nehmen, kam Ricardo nicht — ganz
abgesehen davon, dass wir zu dieser späten Stunde vermutlich ohnehin keines
mehr gefunden hätten. Also begab sich nach einem kleinen Geplänkel vor der
Herberge jeder in sein eigenes Bett — ich mit Überzeugung, er mit Frust und am
nächsten Morgen verabschiedete sich Ricardo nicht gerade herzlich von mir.
    Verdrießlich
schloss ich, nachdem alle Pilger weg waren, die Herberge zu und ging einen
Kaffee trinken. Das hatte ich jetzt davon und eigentlich geschah es mir ganz
recht. Ich war ja nicht Hospitalera geworden, um einen passenden Mann zu
treffen, sondern um den Camino von anderer Warte aus kennen zu lernen und seine
Magie näher zu ergründen. Aber wenn ich trotzdem im Vorfeld meines Einsatzes
alberne Szenarien entwarf, wie ich einem tollen Brasilianer begegnete, dann
brauchte ich mich nicht zu wundern, wenn ich das tatsächlich tat. Auf dem
Camino passieren seltsame Dinge und ein guter Freund mit großem spirituellem
Wissen hatte mich schon vor Jahren gewarnt: „Sei vorsichtig mit dem, was du dir
vorstellst — es könnte wahr werden.“
    Bloß
dass in diesem speziellen Fall die Rahmenbedingungen halt keineswegs so toll
waren wie in meiner Phantasie. Zu allem Überfluss bemerkte die Kellnerin in der
Cafeteria nun auch noch spitz: „Na, der Junge gestern Abend war ja wohl schwer
verliebt, was?“
    In
diesem Ort blieb wirklich nichts verborgen.
    „Stimmt“, bestätigte Alfredo, nachdem ich ihn vage über meine
unvollendete Ricardo-Affäre inklusive Reaktion der Kellnerin in Kenntnis
gesetzt hatte, bevor er das Ganze von anderer Seite erfuhr.
    Er
hatte daraufhin wie gesagt das eherne Hospitalero-Gesetz zitiert und, als er
mein geknicktes Gesicht sah, mit einem Seufzer begütigend hinzugefügt: „Die
Brasilianer sind eine Gefahr für den Camino.“
    „Warum
das denn?“
    „Sie
sind so heiter und liebenswert, aber sie leben vollkommen im Heute und machen
sich keine Gedanken darüber, welche Folgen ihre Handlungen für das Morgen haben
könnten.“
    In
Bezug auf Ricardo stimmte das sicher und Alfredo hatte ebenfalls entsprechende
Erfahrungen. So habe einmal eine bildschöne Brasilianerin, eine echte
Versuchung, wie er sagte, unbedingt etwas mit ihm anfangen wollen.
    „Ich
erklärte ihr, das ginge nicht, schließlich sei ich verheiratet, hätte
Verantwortung, müsste an die Zukunft denken und lebte in diesem kleinen Ort, wo
alles sofort öffentlich würde.“ Alfredo zuckte die Achseln. „Sie verstand das
nicht. Aber jetzt könnten wir doch Spaß haben, hat sie immer wieder
gesagt.“ Ich konnte das Ansinnen jener Brasilianerin durchaus nachvollziehen.
Alfredo war ein gut aussehender Mann um vierzig, groß, dunkelhaarig mit
gepflegtem kurzem Bart, ein lässiger humorvoller Typ — kein Wunder, dass die
Camino-Tratsch-Trommeln postulierten, er sei kein Kostverächter, wofür ich
allerdings während meiner Zeit in Molinaseca keinerlei Bestätigung fand.
    „Natürlich
kann es vorkommen, dass man sich in einen Pilger in der Herberge verliebt“,
befand Alfredo abschließend zu potentiellen Versuchungen, denen ich noch ausgesetzt
sein könnte.

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