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Raum in der Herberge

Raum in der Herberge

Titel: Raum in der Herberge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Klose
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Wandern so müde, dass es mir wenig ausmachte, wenn andere im Schlafsaal
schnarchten. Als Hospitalera hingegen war ich den lieben langen Tag so gut wie
nie allein, immer ansprechbar, immer verfügbar, und eben davon müde — was etwas
anderes ist als die Erschöpfung durch körperliche Anstrengung. Es ging mir bald
an die Substanz, dass ich keine Möglichkeit hatte, am Ende des Tages eine Türe
hinter mir zu schließen und alles draußen zu lassen. Außerdem störte es mich,
dass ich — obwohl nicht unterwegs — aus dem Rucksack leben musste, meine Sachen
nicht auspacken und ausbreiten konnte.
    Vor
allem wurde ich zunehmend empfindlicher gegen die diversen Geräusche im
Schlafsaal. Schon in meiner ersten Nacht in Molina bekam ich einen Vorgeschmack
auf das, womit ich in den beiden Wochen dort würde klarkommen müssen.
    Ein
Trupp Franzosen schaltete noch vor vier Uhr morgens sämtliche Lichter an,
marschierte in Wanderstiefeln mit festen Tritten hin und her, diskutierte und
packte zusammen. Besonders nervig fand ich dabei dieses typische
Herbergsgeräusch — das raschelnde Knistern von Plastiktüten, mit denen Pilger
den Inhalt ihrer Rucksäcke übersichtlicher zu gestalten suchen. Als die
Franzosen endlich loszogen, waren alle übrigen wach und machten sich ihrererseits fertig. Ich zog mir die Decke über den Kopf — sinnlos,
es nützte nichts. Generell war morgens spätestens ab sechs Uhr an schlafen
nicht mehr zu denken. Also stand ich früher auf, als ich eigentlich wollte,
begab mich zerknittert und zerschlagen nach unten. Dort wurde ich für
gewöhnlich nicht mit „Guten Morgen“, sondern mit dem in mehreren Sprachen
hervorgebrachten Vorwurf: „Es ist kein Klopapier mehr da“, begrüßt. Das waren
die Momente, in denen ich sie alle hätte erschlagen können, aber zum Glück ging
es nach diesem Tiefpunkt des Tages meist nur noch aufwärts.
    Franzosen
scheinen übrigens eine besondere Vorliebe dafür zu haben, sich schon vor dem
Morgengrauen auf den Camino zu begeben.
    „Hay
Franceses — sind Franzosen da?“, fragte Alfredo deshalb
gern, wenn er später wieder kam. „Nein? Glück für dich, dann hast du eine
ruhige Nacht.“
    Sofern
nicht irgendwelche ehrgeizigen Spanier, Deutsche, manchmal auch Italiener und
Brasilianer auf die Idee kamen, ganz früh aufzustehen. Nach einer Woche
verstand ich jedenfalls, wieso permanenter Schlafentzug als Foltermethode gilt,
und als der erste Pilger, den ich aus Azofra kannte, vorbeikam, meinte er: „Du
siehst aber müde aus.“
    Ach
je, dachte ich, wo ich mich schon in Azofra oft ziemlich erschöpft gefühlt
habe, sehe ich jetzt vermutlich aus wie ein Wrack.
    Dennoch
habe ich es keinen Tag bereut, nach Molinaseca gegangen zu sein — im Gegenteil,
es war eine Erfahrung, die ich auf keinen Fall missen möchte.
    Meine
Arbeit als Hospitalera dort unterschied sich deutlich von der in Rolands
„Fuente“ und das lag nur zum Teil daran, dass die Herberge kommunal und nicht
privat und außerdem größer war. Es lag vor allem an Alfredo und daran, wie er
mir viel Eigeninitiative und Verantwortung ließ. Seit Jahren war er neben
seiner Arbeit in der Gemeindeverwaltung als hauptamtlicher Hospitalero für die
Herberge zuständig und hatte in dieser Zeit unzählige Pilger betreut und viele
freiwillige Helfer eingewiesen, dadurch genaue Menschenkenntnis und große
Gelassenheit gewonnen. Er sah die Dinge mit Abstand und nahm es locker, wenn
Pilger — was bemerkenswert sehen vorkam — sich unbotmäßig benahmen. Anders als
Roland, der verständlicherweise, denn schließlich war seine Herberge zugleich
sein Heim, alles genau unter Kontrolle haben wollte, führte Alfredo die
Albergue und die wechselnden Gast-Hospitaleros sozusagen am langen Zügel. Er
hatte nichts dagegen, dass ich der Herberge während meiner Hospitalera-Zeit
meinen persönlichen Stempel aufdrückte, zunächst vor allem mit Kleinigkeiten.
Ich stellte Blumen von den nahen Wiesen im Aufenthaltsraum auf, aromatisierte
den Schlafsaal nach dem Putzen mit Räucherstäbchen und hielt frisches Wasser
für besonders erschöpfte Pilger bereit.
    Meine
tägliche Routine verlief ebenfalls anders als in Azofra. Dort hatte ich
gemütlich bis halb acht schlafen können, hatte in aller Ruhe gefrühstückt und
war dann gemächlich mein Tagwerk angegangen.
    Hier
war nichts mit gemütlich und gemächlich. Fast immer sehr früh geweckt, braute
ich mir einen Pulverkaffee, um wenigstens halbwegs wach zu werden, und sah zu,
dass

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