Raum
unseren sechs Nadeln. Im Draußen muss alles ganz anders sein. »Warum hat er gesagt, vergiss nicht, von wem du mich hast?«
»Jetzt sei mal einen Moment lang still, ja?« Ich zähle stumm ein Heuwägelchen, zwei Heuwägelchen, in jeder von den sechzig Sekunden springen die Fragen in meinem Kopf hoch.
Ma schüttet sich ein Glas Milch ein, ich kriege keins. Sie starrt in Kühli, das Licht geht nicht an, komisch. Sie macht die Tür wieder zu.
Die Minute ist um. »Warum hat er gesagt, vergiss nicht, von wem du mich hast?«
Ma klickt Lampe, aber der wacht auch nicht auf. »Er hat gemeint … wem du gehörst.«
»Ich gehöre dir.«
Sie lächelt mich kurz an.
»Ist die Birne von Lampe alle?«
»Ich glaube nicht, dass das der Grund ist.« Sie zittert, dann geht sie rüber und guckt auf Thermostat.
»Warum hat er gesagt, du sollst es nicht vergessen?«
»Weißt du, eigentlich hat er alles falsch verstanden. Er glaubt nämlich, du gehörst ihm.«
»Ha! Was für ein Schafskopf.«
Ma starrt auf Thermostat. »Kein Strom.«
»Was ist das?«
»Im Moment hat nichts Strom.«
Was für ein verrückter Tag.
Wir essen unsere Cornflakes und putzen uns die Zähne und ziehen uns an und geben Pflanze Wasser. Wir wollen Wanne einlaufen lassen, aber das erste bisschen Wasser kommt eiskalt raus, deshalb machen wir uns nur mit dem Waschlappen sauber. Durch den Oberlicht kommt es heller rein, aber nur ein bisschen. Fernseher klappt auch nicht, ich vermisse meine Freunde. Ich tue so, als ob sie auf den Bildschirm kommen, und tätschle sie mit meinen Fingern. Ma sagt, wir sollen noch ein Hemd und eine Hose mehr anziehen, damit uns warm wird, sogar an jeden Fuß zwei Socken. Um uns aufzuwärmen, machen wir Laufbahn, kilometerweit, dann lässt Ma mich die äußeren Socken ausziehen, weil meine Zehen ganz gequetscht sind. »Mir tun die Ohren weh«, sage ich ihr.
Ihre Augenbrauen gehen hoch.
»Es ist zu still in denen.«
»Ach so. Das kommt daher, dass du die ganzen leisen Geräusche nicht hörst, an die wir gewöhnt sind, das Summen vom Kühlschrank oder wenn die Heizung anspringt.«
Ich spiele mit Schlimmerzahn, ich verstecke ihn an verschiedenen Stellen, zum Beispiel in Kommode und im Reis und hinter Spüli. Ich versuche zu vergessen, wo er ist, und dann bin ich ganz überrascht. Ma schneidet die ganzen grünen Bohnen aus Frierer, warum denn bloß so viele?
Da fällt mir das einzige Gute von gestern Abend ein. »Oh, Ma … der Lolli.«
Sie schneidet weiter. »Der ist im Müll.«
»Warum hat er ihn da reingetan?« Ich laufe rüber, trete auf das Pedal, und der Deckel geht auf, dong , aber den Lolli sehe ich nicht. Ich taste an den Orangenschalen und dem Reis und dem Eintopf und dem Plastik vorbei.
Ma packt mich an den Schultern. »Lass ihn da.«
»Aber das ist meine Süßigkeit vom Sonntagsgutti«, sage ich ihr.
»Es ist Abfall.«
»Ist es nicht.«
»Und er hat ihn höchstens 50 Cent gekostet. Der macht sich doch über uns lustig.«
»Ich habe noch nie einen Lolli gehabt.« Ich zappele so lange, bis ich los bin.
Nichts kann Herd heiß machen, weil der Strom abgeschneidet ist. Deshalb gibt es zum Mittagessen quietschige, eiskalte grüne Bohnen, die sind sogar noch ekliger als gekochte grüne Bohnen. Aber wir müssen sie aufessen, weil sie sonst schmelzen und verderben. Mir würde das nichts ausmachen, aber es ist Verschwendung.
»Soll ich dir Das Häschen, das weglief vorlesen?«, fragt Ma, als wir alles ganz kalt abgewaschen haben.
Ich schüttele den Kopf. »Wann wird der Strom wieder angeschneidet?«
»Das weiß ich leider auch nicht.«
Wir gehen in Bett, um uns aufzuwärmen. Ma zieht ihre ganzen Sachen hoch, und ich kriege eine Menge, erst aus der Linken und dann aus der Rechten.
»Was ist, wenn Raum immer kälterer wird?«
»Das passiert bestimmt nicht. In drei Tagen ist April«, sagt sie und schmust mich. »So kalt kann es draußen nicht sein.«
Wir dösen, aber ich nur ein bisschen. Ich warte, bis Ma ganz schwer ist, dann krabbele ich raus und suche wieder in Müll.
Ich finde den Lolli fast am Boden, er sieht aus wie ein roter Ball. Ich wasche mir die Arme und auch meinen Lolli, weil da der eklige Eintopf dran ist. Ich kriege das Plastik sofort ab, und dann lutsche ich und lutsche, es ist das Süßeste, was ich jemals gekriegt habe. Ich frage mich, ob so das Draußen schmeckt.
Wenn ich weglaufen würde, dann würde ich mich in einen Stuhl verwandeln, und Ma wüsste nicht, welcher. Oder ich würde mich
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