Raumschiff 3 - Tia
ihn durch ihr Kameraauge in seiner Kabine, versuchte zu begreifen, was die letzten Tage geschehen war.
Sie hatte vergessen, daß sie in einer Säule war, nicht nur gelegentlich, sondern manchmal stundenlang. Sie hatten sich unterhalten und benommen wie… wie gewöhnliche Leute,
nicht wie ein Gehirn und ein Pilot. Irgendwie waren während dieser Zeit die unausgesprochenen, unbewußten Barrieren zwischen ihnen verschwunden.
Und er hatte sie ›Liebe‹ oder ›Geliebte‹ genannt und hatte ihre Konsole oder ihre Säule ziemlich häufig gestreichelt – als würde er eine Hand streicheln, um Aufmerksamkeit zu
erhaschen oder zu trösten.
Tia bezweifelte, daß er wußte, was er da tat. Es wirkte sehr zerstreut. Deshalb war sie sich erst recht nicht sicher, was sie davon halten sollte. Es könnte einfach Zuneigung sein; manche Leute benutzten Kosenamen ja sehr beiläufig. Das hatte Alex zwar bisher noch nicht getan, aber vielleicht hatte er sich in ihrer Gegenwart bisher nur noch nicht behaglich genug
gefühlt, um es zu tun. Wie lange kannten sie einander denn auch schon? Nur ein paar Monate – auch wenn es ihr schon vorkam wie ein ganzes Leben.
Nein, sagte Tia sich entschieden, es hat nichts zu bedeuten.
Er hat mich jetzt lediglich gut genug kennengelernt, um alle seine Hemmungen fallenzulassen.
Doch je eher sie ihre Suche beendeten und wieder ins All hinauskamen, um so schneller würden die Dinge sich wieder normalisieren.
Mal sehen, ob ich nicht zwei von diesen drei Kegeln fertigbekomme, bevor er aufwacht.
Wie zu erwarten, gab es in dem Hafen, den der mysteriöse Tramp-Frachter als nächstes Ziel angegeben hatte, keine Unterlagen über sein erwartetes Erscheinen. Tia hatte auch nicht wirklich damit gerechnet; diese Tramps änderten ihre Flugpläne oft sehr häufig, und wenn es ein Schmuggler
gewesen sein sollte, hatte er mit Sicherheit nicht angegeben, wohin er wirklich als nächstes wollte.
Tia hoffte inständig, daß er nur nicht aufgekreuzt war, weil der Kapitän gelogen hatte – und nicht, weil sie inzwischen irgendwo draußen im All herrenlos umhertrieben. Sie überließ Alex das Reden. Er entwickelte langsam ein bemerkenswertes schauspielerisches Talent und schaffte es sehr raffiniert, die Wahrheit zu sagen, zugleich aber einen völlig gegenteiligen Eindruck zu vermitteln.
In diesem Fall wiegte er den Stationsmanager in dem
Glauben, daß er Agent einer Inkasso-Agentur sei, der das ganze Schiff kassieren wollte, sobald er es eingeholt hatte.
Alex beendete die Verbindung zu dem Stationsmanager und drehte seinen Sessel wieder ihrem Schirm zu.
»Wie machst du das?« fragte Tia schließlich. »Wie schaffst du es, sie dazu zu bringen, etwas völlig anderes als die Wahrheit zu glauben?«
Er lachte, während sie die örtliche Landkarte aufrief und als holographisches Bild projizierte. »Seit ich denken kann, war ich in Theatergruppen. Das ist mein zweites Hobby, das ich allerdings nie allzu ernst genommen habe, obwohl man mir sagte, daß ich ziemlich gut sei. Ich versuche lediglich, mir die Person vorzustellen, die ich sein möchte, und überlege mir dann, welcher Teil der Wahrheit zu diesem Bild paßt.«
»Na ja«, sagte sie, während sie die möglichen Ziele des Schiffs studierte, »wenn ich ein Schmuggler wäre, wohin würde ich mich dann begeben?«
»Station Lermontow, Station Presley, Station Korngold,
Station Tung«, erwiderte er und zählte sie an seinen Fingern ab. »Sie könnten natürlich auch woanders aufkreuzen, aber auf den anderen gibt es überall Geheimdienstleute. Von denen würden wir es sofort erfahren, falls sie eintreffen sollten.«
»Vorausgesetzt, daß der Geheimdienstmann vor Ort sein
Geld wert ist. Wieso Station Presley?« wollte sie wissen. »Das ist doch nur der Firmensitz einer Gesellschaft für
Asteroidenabbau.«
»Eine Hochfamilienresidenz«, erwiderte Alex. Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Hände hinter dem Kopf. »Geld für wertvolle Artefakte. Bergbauarbeiter mit Geld – und nicht alle von denen sind Felsratten.«
»Ich dachte, Bergarbeiter wären alle… na ja, ziemlich
primitiv«, erwiderte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Es gibt viele Bergarbeiter, die eine Stange Geld machen wollen – und viele von ihnen rüsten ihre kleinen Schlepper so aufwendig aus, daß die Yacht einer Hochfamilie dagegen geradezu armselig wirkt. Sie haben Geld für hübsche Dinge und scheren sich nicht sonderlich darum, woher sie stammen. Das Presley-Lee
Weitere Kostenlose Bücher