Raus aus dem Har(t)z IV!
Schimmelpfennig gerade bei einer ihrer zwölf täglichen Mahlzeiten und stand vor der Entscheidung, ob es sinnvoll ist, Schlagsahne auf den sauren Hering zu sprühen, um mehr davon herunter zu bekommen. Wenn ich sie mir so vorstellte musste ich unweigerlich daran denken, dass sie sicher in ein diabetisches Koma fallen würde, wenn sie nicht mindestens 15.000 Kalorien täglich zu sich nimmt. Meine Wut kanalisierte sich in das Bild des Fleisch- Klopses Schimmelpfennig. Wenn ich Darts spielen könnte, ich würde ein Bild von ihr nehmen und auf die Zielscheibe für die Pfeile kleben. Aber vermutlich müsste ich dafür die Plakatwand vor dem Haus mieten, denn so große Darts- Scheiben gibt es sicher nicht, von der für dieses eine Foto notwendigen Kamera ganz zu schweigen. Während ich mir also ausmalte, wie ich diesen Brummer malträtieren würde, stand ich auch schon vor dem Haus. Akazienstraße 17, die Adresse, die mir Tobias gegeben hat und in der jetzt die große Sause stattfinden sollte. Es hätte auch ein identischer Klon von dem Haus sein können, in dem ich lebte. Außer vielleicht in doppelter Höhe, dafür aber auch ein noch tieferes Grau, als mein Plattenbau war. Obwohl ich bis zu diesem Moment dachte, dass mein Grau an Tristesse und Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten sein würde, fiel mir erst beim Anblick dieses Hauses in der Akazienstraße auf, dass ich es eigentlich noch gut getroffen hatte, vergleicht man die Außengestaltung. Denn in meinem Bau waren die Fugen zwischen den einzelnen verbauten Platten in stilvollem Beige gehalten, während dieses Haus hier aussah, als wären gar keine Fugen erst verbaut worden. Trostlos von außen, ich konnte nur hoffen, innen traf es mich besser. Ansonsten würde es ein sicher deprimierender Abend werden, worüber auch kein noch so starker Pusch hinweg helfen würde.
***
Michael machte mir die Tür auf und begrüßte mich herzlich, wobei er mich hinein bat. Innen bot die Wohnung einen kompletten Kontrast zu dem ansonsten tristen und eintönigen Haus. Wobei ich mir nicht unbedingt sicher war, ob diese Pauschalisierung auch wegen der Jahreszeit getroffen wurde, in der selbst eine Grünfläche für mich grau und eintönig wirkt. Ich hasste den Winter und dieses feuchtkalte Wetter. Gegen Kälte hatte ich nichts einzuwenden, auch nicht gegen den Winter an sich. Nur wenn es nicht immer so feuchtkalt war. Entweder überraschte einen der Nebel im morgen, der so träge war, dass er sich bis zum Abend nicht verzogen hatte, oder man hatte Matsch auf den Straßen und musste aufpassen, nicht in den Schlaglöchern davon bedeckt zu werden. Den schönen, weißen Winter mit Sonnenschein am Himmel, eben den Winter, den ich aus meiner Kindheit kannte, den schien es nicht mehr zu geben. Der wurde scheinbar direkt mit abgeschafft mit der Wiedervereinigung. Denn so lange lag es zurück, dass ich mich an einen weißen, schönen Winter erinnern konnte. Man hat ja ohnehin alles abgeschafft, was man heute wieder unterschwellig einführte. Erst war es pauschal ‚schlecht‘, da es ja aus dem Osten kam und jetzt, nachdem man realisiert hat, dass nicht unbedingt alles so schlecht gewesen ist, wie man es so gern machte, dann führte man es durch die Hintertür wieder ein. Abitur nach 12 Jahren, Ganztagsbetreuung in der Schule oder ausreichend Kindergartenplätze. Kannte ich alles schon aus den Osten. Doch man musste ja erst mal alles abschaffen. Außer Frau Schimmelpfennig, die setzte man in die Arbeitsagentur. Oder kam sie da nie heraus und das war der Grund, warum sie dort auch heute noch herumspukt und den Geist der verstorbenen STASI- Majore rächt? Jetzt unterbrachen auch die anderen beiden der drei Jungs meine Gedanken, die schon wieder abzuschweifen schienen. Dabei bewunderte ich wirklich diese Wohnung, was ich auch gleich zum Ausdruck brachte: „Tolle Wohnung habt Ihr hier, Jungs!“ . alles war farbenfroh gehalten, perfekt aufgeräumt und man könnte meinen, es sei ein Musterobjekt, in das jeden Moment Kaufinteressierte kommen würden. Aber vielleicht ist ja auch so eine Wohnungs- Verschönerin aus dem Privatfernsehen kurz zuvor einmarschiert und hat alles auf Vordermann gebracht. Kennt man ja alles. ‚ Einmarsch in vier Wänden ‘ oder wie das Programm heißt, in dem die andere Wuchtbrumme vom Tittensender erst alles durcheinander bringt, nur um später den IKEA Katalog nachzustellen. Wenn alles fertig ist, müssen die Opfer dann brav in die Kamera lächeln und schon ist die
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