Rausfliegen mit Erfolg
Recruiting-Team konnte sich lange nicht entscheiden. Ich habe letztendlich persönlich die Verantwortung für die Entscheidung übernommen. Jetzt liegt es an Ihnen zu zeigen, dass ich die richtige Wahl getroffen habe. Ãberzeugen Sie mich und alle im Unternehmen mit Ihrer Leistung. Willkommen an Bord! â
Sie wussten, was Sie Ihrem Boss und dem Unternehmen schuldeten. Sie wussten aber auch, was Sie dafür bekamen. Nicht umsonst hatten Sie ein Unternehmen gewählt, das Ihnen Karriere ermöglichte und zudem für eine ausgesuchte Weiterbildung sorgte. Mit Freude, Stolz und dem Gefühl der Zugehörigkeit traten Sie Ihren Dienst an. Besiegelt hatten Sie die Zusammenarbeit nicht mit der Unterschrift unter den juristischen Vertrag, sondern mit Ihrem Händedruck und dem Versprechen, das Sie Ihrem Boss gegeben hatten. Sie schlossen einen Psychologischen Vertrag mit Ihrem Arbeitgeber, der weit mehr zählte als jedes formale Papier zur Regelung Ihres Dienstverhältnisses.
Wenn Sie nun einige Jahre später in das persönliche Besprechungszimmer Ihres Chefs gerufen werden, der dort nicht mehr allein, sondern gemeinsam mit einem Mitarbeiter der Personalabteilung auf Sie wartet, wenn er Sie ohne tiefen Blick in die Augen und in eher distanzierter Sprache davon in Kenntnis setzt, dass Sie das Unternehmen verlassen müssen, dann kündigt er Ihnen zwei Verträge, spricht aber nur über einen, und zwar den unwichtigeren. Während er knapp und betont sachlich die nächsten formalen Schritte erläutert, zerreiÃt er wortlos den Psychologischen Vertrag, den er mit Ihnen geschlossen hat. Auf dem gemeinsamen Weg zum Karriere-Gipfel schneidet er Sie vom Seil. Er löst mit einem Mal Ihre enge Verbundenheit zum Unternehmen und zerbricht das vermeintlich gemeinsame Wertesystem.
Wie Rausflieger bereits eindrücklich geschildert haben, waren ihre Gedanken und Gefühle während des Trennungsgesprächs von der abrupten Beendigung des Psychologischen Vertrags geprägt. Ein Vertrag, dessen Auswirkungen weit über den beschriebenen Job hinaus reichten. Die psychologische Bindung an ihren Arbeitgeber beschäftigt sie unter Umständen stärker als die auftretende Existenzangst. Für die Kalmierung der Existenzangst ist meist gesorgt. Worüber sich Rausflieger zumindest kurzfristig die wenigsten Sorgen machen müssen, ist das Geld zum Leben. Eine vernünftige und faire Auflösung des Psychologischen Vertrags allerdings gelingt den wenigsten Unternehmen. Daher greifen viele Rausflieger zur Selbsttherapie. Sie setzen Aktionen, um ihrem Arbeitgeber und der Umwelt klar zu signalisieren, welchen Wert sie für das Unternehmen dargestellt haben.
Der unverminderte Einsatz bis zur letzten Minute, die bewusst intensive Kommunikation mit allen Mitarbeitern und Kollegen, die einen während der Karriere begleitet haben, die systematische Kontaktaufnahme mit Geschäftspartnern, all das sorgt für ein klares Signal:
â Ich habe meine Arbeit immer ernst genommen. Ich war stets motiviert und habe vollen Einsatz gezeigt. Ich habe gerne hier gearbeitet. Und ich habe gut gearbeitet. Meine Arbeit war wichtig, für mich ebenso wie für die Firma. Ich war ein wertgeschätzter Mitarbeiter, der einen wesentlichen Beitrag zum Unternehmenserfolg geleistet hat. Ich habe stets die Leistung gebracht, die man von mir gefordert hat. Ich habe mich kontinuierlich weiterentwickelt. Ich bin kompetent, erfahren und ein Profi. Daran hat die Entscheidung, mich zu feuern, nichts geändert. Ich zerstöre mir nicht den mühevoll aufgebauten Ruf in den letzten Tagen meiner Firmenzugehörigkeit. AuÃerdem sieht man sich im Leben immer zweimal. Mein Zeugnis steht noch aus und ich kann auch wohlwollende Referenzen für die Jobsuche gut brauchen. Deswegen zeige ich Leistung bis zur letzten Minute. â
Das klingt eigentlich ziemlich vernünftig, oder? Solange es im Rahmen bleibt, was es aber nicht immer tut. Rausflieger wollen mit ihrem Last-Minute-Engagement den Wertschätzungsverlust kompensieren. Sie erstellen lange Checklisten für die Nachwelt und verlangen, all ihre Unterlagen und Aufgaben minutiös an einen Nachfolger zu übergeben. Sie agieren wie Eltern, die ihren bereits jugendlichen Kindern stundenlange Instruktionen für alle Eventualitäten geben, nur weil sie übers Wochenende wegfahren und die âKleinenâ allein zu Hause bleiben. Vielleicht kennen
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