Raven - Schattenchronik: Sechs Romane in einem Band (German Edition)
offen - trotz Ravens gelähmtem Arm.
Aber dann geschah das, womit Raven unbewusst die ganze Zeit gerechnet hatte.
Irgendwo über ihnen hämmerte eine Maschinenpistole los.
Konstabler Price hatte davon gesprochen: Die Gangster waren mit MPis bewaffnet. Und sie scheuten sich offenbar nicht, davon Gebrauch zu machen. Auch nicht gegen Frauen.
Janice, dachte Raven. Es war ein lautloser Aufschrei tiefster Qual. Sie haben Janice erschossen!
Für einen winzigen Augenblick fühlte er sich wie paralysiert.
Und das genügte.
Sein Zugriff lockerte sich. Etwas schlug seinen Arm beiseite. In einer letzten verzweifelten Anstrengung versuchte er, seinen Gegner mit seinem Körpergewicht niederzuhalten und wieder unter Kontrolle zu bringen. Es klappte nicht. Er wurde hochgehebelt, aus der Nahdistanz heraus, und konnte nichts dagegen tun. Ein kurzer, harter Fingerspitzenstoß traf seinen Solarplexus und ließ feurige Kreise vor seinen Augen tanzen.
Von da an hatte es sein Gegner nicht mehr schwer mit ihm. Ein Schlag krachte genau hinter sein Ohr und riss ihm - so kam es ihm jedenfalls vor - beinahe den Kopf ab. Und als ob das noch nicht genügt hätte, setzte sein Gegner noch einen Schlag hinterher.
Es wurde dunkel um Raven. Und beinahe war er froh darum.
»He, haste nicht mal 'ne Zigarette für mich? Dieses Scheiß-Warten macht mich noch total kirre.«
»Meinste, mich nicht? Hier, nimm. Warte, ich geb' dir Feuer.« Das Aufzischen eines Streichholzes, dann das tiefe, genussvolle Inhalieren von Zigarettenrauch. »Ah, das tut gut. Jetzt noch 'n Stout, und mir ging's wirklich prima.«
Konstabler Jim Price, der einige Schritte vom Wagen entfernt breitbeinig mitten auf der Straße stand und dem metallicgrünen Maserati nachblickte, den er soeben kontrolliert hatte, verzog das Gesicht zu einem resignierenden Grinsen. Wie er wussten auch Pink und Willie ganz genau, dass es verboten war, im Dienst zu rauchen, aber sie kannten ihn gut genug, um es ohne Heimlichkeit trotzdem zu tun. Andere Streifenwagenbesatzungen hätten sich wenigstens unter dem Vorwand, mal eben austreten zu müssen, in die Büsche geschlagen und da geraucht. Nicht Pink und Willie.
Er seufzte tief auf. Na, eigentlich konnte er jetzt wirklich selber einen Glimmstängel vertragen. Auch wenn er es vor seinen Männern nie offen zugegeben hätte, entnervte das Warten ihn ebenso wie sie. Vor allem, weil es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit völlig sinnlos war. Die »Maschinengewehrmörder«, wie die Medien sie nannten, waren natürlich längst über alle Berge. Und das, was sie hier taten, wurde langsam immer mehr zu dem, was es zu sein vorgab: eine allgemeine Verkehrskontrolle - wenngleich unter erschwerten Bedingungen.
In der Ferne verschwanden die rot glühenden Rücklichter des Maserati um die nächste Kehre. Mit einem Ächzen wuchtete Konstabler Price seinen massigen Körper herum und stapfte steif zum Wagen hinüber. Er hatte das unangenehme Gefühl, dass der Nebel in jeden seiner Rückenwirbel kroch und sich dort festsetzte, um ihm noch mehr Schmerzen zu bereiten, als er bei normalen Wetter ohnehin schon spürte. Und die Kontrolle dieses niedrigen Sportwagens hatte ihm sowieso den Rest gegeben. Es würde eine lange, böse Nacht werden, so viel stand fest - zu lange für einen Mann wie ihn, der kurz vor seiner Pensionierung stand.
Immer noch ächzend, umrundete er den Streifenwagen und öffnete die hintere Tür auf der Beifahrerseite. Das Einsteigen war eine Qual, die ihm die Tränen in die Augen trieb. Aber er ließ sich nichts anmerken. Pink und Willie sollten nicht glauben, dass er schon zum alten Eisen zählte.
»Zigarette, Pop?« Willie, der am Steuer saß, hatte sich halb herumgedreht und schaute ihn fragend an. Sie nannten ihn manchmal Pop, wenn sie unter sich waren, ein Ehrenname, den sie aus irgendeiner amerikanischen Fernsehserie übernommen hatten. Ihm gefiel das, auch wenn es ein wenig despektierlich klang.
Papa. Ja, er hätte wirklich ein Vater sein können. Und wenn er sich Pink und Willie so anschaute, bedauerte er manchmal, nie eine Frau genommen und Kinder gezeugt zu haben. Es waren gute Jungs, die beiden. So hätten seine Söhne aussehen können ...
Er verbannte diese Gedanken aus seinem Kopf und nickte. »Ja, gebt mal eine her.« Nur jetzt nicht sentimental werden! Er hatte sich irgendwann vor vielen Jahrzehnten für diese Lebensform entschieden, weil er glaubte, dass Polizist sein ein viel zu gefährlicher Beruf war, als
Weitere Kostenlose Bücher