Raya und Kill - Gefaehrliche Grenze
verschlossenem Gesichtsausdruck kommt Kill auf
mich zu. Er bleibt vor mir stehen und sieht mich mit dunklen Augen an. Sein
Mund ist zusammengekniffen. Er mustert mich. Ich versuche in seinen Augen zu
lesen, aber es gelingt mir nicht.
Erikson baut sich schräg hinter ihm auf. Er
verschränkt die Arme. Obwohl er ein Riese ist, ist er einen halben Kopf kleiner
als Kill. Er hat allerdings vom jahrelangen Training noch breitere Schultern.
»Fütterungszeit«, zischt er und blickt an Kill
vorbei.
Ich knete meine vom Faustkampftraining
schmerzenden Finger, blicke von Erikson zu Kill und wieder zurück. »Ich
verstehe nicht«, sage ich.
»Wir … gehen zu den Gefangenen«, sagt Kill. Er
druckst. »Zu den Falkgreifern.«
»Ihr quält sie doch nicht?«, platzt es aus mir
heraus.
»Nein«, sagt Erikson. »Das haben bereits andere
getan.«
»Wer?«, hauche ich atemlos und spüre wie mein Herz
zu klopfen beginnt.
»Die verdammten Gills«, sagt Kill.
Erikson legt eine Hand auf Kills Arm. »Es waren
die Gills«, sagt er, »…die sie gefangen genommen haben. Und sie waren nicht verdammt, sondern wähnten sich im
Recht. Und genaugenommen stimmt das auch, denn sie haben gegen keines unserer
Gesetze verstoßen.«
Kill beißt die Zähne zusammen und knirscht mit dem
Kieferknochen. Ein leises Knurren dringt aus seiner Kehle.
»Und?«, sage ich hastig und blicke meinen
Sportlehrer fragend an. »Wo ist das Problem? Ich habe die gefangenen Greifer
doch schon längst gesehen.«
Erikson ignoriert meine Frage.
»Kill, Sie holen das Essen! Ich gehe mit Mistral
Verbandszeug besorgen. Wir treffen uns in zehn Minuten dort.«
Zögernd tritt Kill von einem Bein aufs andere,
geht dann aber wortlos.
Ich folge Erikson vorbei an den Umkleidekabinen in
ein schmales, dunkles Treppenhaus und einen kaum beleuchteten Gang. Er schließt
eine Tür auf. Dahinter liegt ein weiterer Gang. Noch dunkler und schäbiger.
Unsere Schritte hallen auf dem Betonboden. Dann stehen wir vor einer Eisentür.
Sie ist verschlossen. Er legt die Hand auf den Scanner. Das Schloss öffnet sich
klackend.
Vor uns liegt eine Art Warenlager. Rechts und
links an der Wand stehen Stahlregale mit Blechkisten. Gegenüber mündet der Raum
in einen Flur. Die Tür steht offen. Jemand eilt an uns vorbei.
»Das ist die Krankenstation der Sträflinge«, sagt
Erikson. »Ich bekomme von den Schwestern nur, was übrig ist, und das ist nicht
viel.«
Eine Frau mit grauer Haube, grauem Kittel und
weißem Kragen kommt uns entgegen. Sie und Erikson sind offenbar ein
eingespieltes Team, denn sie reden nichts Privates. Sie grüßen einander nicht
einmal. Die Frau legt zwei aufgerollte, zerdrückte Tuben und Fetzen von fleckigem
und braunem Verband auf ein Tablett. »Es ist ausgekocht, aber nicht steril«,
sagt sie mit einem entschuldigenden Blick.
»Danke, das ist besser als nichts«, sagt Erikson. »Schmerzmittel?
Antibiotika?«
»Leider nein. Wir hatten letzte Woche einige
Unfälle. Wir benötigen alles selbst.«
»Trotzdem Danke.«
Die Krankenschwester zögert, blickt sich unsicher
um. »Sie haben diesmal Kinder dabei?«
»Ja, zwei.«
Sie greift in ihre Kitteltasche, streckt den Arm
aus. »Hier, nehmen sie!«
»Danke.«
Wieder draußen im Flur liest Erikson auf dem
leeren Verpackungsstreifen, was es ist. Schmerztabletten. Zwei befinden sich
noch in den Kammern. Sorgfältig schiebt er das Aluminium von jeder Kammer
beiseite, sucht nach Resten.
»Zwei und eine halbe Tablette.« Ein Lächeln huscht
über sein Gesicht. Dieser riesige Kerl mit den Muskeln eines Bären wirkt auf
einmal wie ein Schuljunge auf mich – einer, der sich über ein Bonbon freut.
Schweigend laufen wir den dunklen Gang entlang.
Ich räuspere mich. »Wie kamen Sie eigentlich zu
Kill?«
»Sie meinen, wieso ich ihn ausgewählt habe?«
»Ja.«
»Hm, ich habe den genommen, der am besten war.
Klettern, Schwimmen, Kampftechniken und Kondition. Aber ich glaube, das wollten
Sie nicht wissen, nicht wahr? Nun, er hat sich mir vorgestellt und mich
gefragt, ob ich auch so ein harter Brocken sei, der Rekruten schindet und
Gefangene quält. Ich habe gesagt: Ersteres stimme, das andere nicht. Also kein Arschloch, hat er gesagt. Da
wusste ich, dass ich ihm vertrauen kann.«
Erikson bleibt stehen. Er schließt eine Tür auf.
Diesmal mit einem ganz gewöhnlichen Schlüssel. Wir gehen durch den Raum. Rechts
und links stapeln sich uralte, vergilbte Akten. Auf der anderen Seite öffnet
mein Lehrer eine Stahltür. Wir
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