Rebecca
Straßengraben geschleudert worden, allerdings fiel ihr kein Grund ein, warum Lukas über den Achterweg streunen und sich anfahren lassen sollte.
Wenn sie krank waren, suchten Tiere sich manchmal eine abgelegene Stelle zum Sterben. Aber Lukas war nicht krank, und warum sollte er sterben wollen?
Rebecca beschlich eine seltsame Unruhe.
Sie blieb am Anfang der Auffahrt stehen und ging dann zum Carport. Rob hatte den Volvo ihres Vaters ganz hinten an der Seitenwand geparkt, gleich nachdem die Polizei ihn am Montag nach dem Unglück zurückgebracht hatte. Für Rebecca war und blieb es das Unglück , als verweigerte ihr Gehirn den Ausdruck Selbstmord.
Rebecca blieb bei Suzans altem Polo stehen und befühlte die Motorhaube. Sie war noch warm. Vom Carport aus konnte sie einen Teil des Wohnmobils erkennen, fahlweiß im spärlichen Licht. Seit ihrer unvernünftigen Anwandlung in der Nacht nach der Beerdigung versuchte sie immer wieder, das Gefühl hervorzurufen, das sie anschließend empfunden hatte, dieses Abwägen von Gewinn und Verlust, als sei das Ganze eine buchhalterische Frage. Sie hatte gelesen, dass einem das erste Mal in den darauf folgenden Tagen in der Erinnerung besser oder schöner erschiene, als es vielleicht gewesen war. Ihr erstes Mal war und blieb jedoch ein schrecklicher Fehler, der niemals besser oder schöner werden konnte, der sie jedoch für immer verändert hatte, das wusste sie inzwischen. Sie hatte etwas abgelegt, eine alte Haut, und eine nächste Phase erreicht, in der sie womöglich leichter und stärker sein konnte, und erwachsener.
Sie würde Dennis niemals wieder berühren.
Rebecca ging um Suzans Auto herum, leuchtete mit der Taschenlampe durch die Scheiben und zog die Heckklappe auf. Der kurze Ladeboden war bis zum Rücksitz mit einem alten Filzteppich ausgelegt. Der große Pappkarton, in den Suzan die Einkäufe lud, stand im Kofferraum, und ihre Einkaufstasche aus Bast lag daneben. Rebeccas Lampenstrahl wanderte über den Benzinkanister, das Warndreieck und die Einbuchtung neben dem Reserverad, in der sich die Reinigungsmittel befanden. Das ausrangierte Flanellnachthemd, das Suzan als Putzlappen gebrauchte, lag lose darauf, und Rebecca stopfte es automatisch zurück an seinen Platz hinter den Sprühflaschen.
Sie schlug die Klappe wieder zu, verließ den Carport und blieb vor der weißen Gartenbank stehen. Es war totenstill. Die anderen fragten sich sicher, wo sie blieb. Oder auch nicht. Sie tranken Sekt, waren eifrig mit Skizzen und Berechnungen beschäftigt und vergaßen Lukas. Dann fiel ihr der Putzlappen wieder ein.
Sie ging zurück zum Polo und machte die Heckklappe wieder auf. Sie zog den Putzlappen heraus, hielt ihn hoch und beleuchtete ihn mit der Lampe. Er war so sauber, als sei er gründlich ausgeschüttelt worden. Rebecca sah nur Schmutz- und Ölflecken und zwei, drei graubraune Haare, die an der Baumwolle hängen geblieben waren.
Rebecca steckte das Tuch wieder an seinen Platz, hob den Pappkarton hoch und stellte ihn auf den Rücksitz. Sie dachte daran, dass Dennis wahrscheinlich dasselbe getan hatte. Sie leuchtete den Laderaum mit der Lampe ab, schob Sachen beiseite und suchte hartnäckig, bis sie noch ein paar Haare gefunden hatte, die dem, der das Auto gereinigt hatte, entgangen waren.
Suzan nahm Lukas nie in ihrem Auto mit.
Rebecca stellte den Karton wieder an seinen Platz, stopfte den Lappen erneut ordentlich zurück in das Fach und schloss die Klappe.
Das ist alles eine große Lüge, dachte sie. Alles.
10
Ich wohnte in einem Niemandsland, bevölkert von den Geistern der Toten.
Jeden Morgen war wieder eine halbe Flasche Cognac weg, weil ich mit den Gedanken nicht bei einem Buch bleiben konnte und schier verrückt wurde beim Zappen durch den hohlköpfigen Schwachsinn, den Millionen anderer Zuschauer anscheinend zu absorbieren vermochten. Ich hing auf dem grauen Sofa oder an meinem Schreibtisch, nickte zwischendurch ein, schreckte wieder auf, völlig desorientiert: Wo sind sie?
Ich wollte weder meine verzweifelten Freunde noch die betulichen Tanten hören, die mir etwas über Selbstmitleid erzählten und darüber, dass man sich zusammenreißen müsse und sich nicht gehen lassen dürfe, weil das Leben weiterginge, ob schön oder nicht. In meinem Niemandsland wohnten nur Schuld und Trauer.
Ich pflückte Blumen zwischen dem wuchernden Unkraut im Garten und legte sie aufs Grab. Ich saß auf dem Stein daneben und redete irgendetwas, dass ich abends Hannas Prinzen
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