Rebecca
der Utrechter Studentin eine Zukunft hatte, aber immerhin hatte sie einige ihrer Vorurteile aufgeben müssen, seitdem Elena sie regelmäßig in Acquoy besuchte. Diese Besuche hatten noch einen Vorteil: Eines Abends, als Dennis ausnahmsweise nicht dabei war, schlug Suzan nämlich vor, ihm Rebeccas altes Zimmer im Anbau zu geben, und da konnte sie ruhigen Gewissens Robs Privatsphäre als Hindernisgrund vorschieben.
Rob war glücklicherweise mit seiner Schwester einer Meinung. »Dann hätte Becky ja gar nicht erst umzuziehen brauchen«, erwiderte er spontan.
»Er kann sich doch im Dorf ein Zimmer mieten«, sagte Rebecca.
Suzan blickte sie irritiert an. »Meint ihr nicht, er rechnet ein bisschen damit, dass wir ihm eine Unterkunft anbieten?«
»Aber du hast es ihm doch hoffentlich noch nicht vorgeschlagen?«
»Nein, natürlich nicht, ohne vorher mit euch darüber gesprochen zu haben, wo denkt ihr denn hin?«, entgegnete Suzan empört. »Nein, ich glaube einfach, er erwartet es von uns. Er wird doch Robs Partner und wir haben genügend Platz …«
»Das heißt aber noch lange nicht, dass wir ihn deswegen Tag und Nacht im Haus haben müssen«, antwortete Rebecca aggressiver als beabsichtigt.
»Wir können ja später nochmal darüber nachdenken, im Winter, wenn es kalt wird.« Rob schob Probleme gerne vor sich her.
Sie hatten anschließend nicht mehr über das Thema gesprochen, aber Rebecca merkte, dass Suzan sie hin und wieder argwöhnisch beäugte, und als sie am Nachmittag des nächsten Tages auf der Terrasse saßen und Zwetschgen entsteinten, fragte Suzan plötzlich: »Hast du etwas auf dem Herzen?«
Rebecca errötete. Sie konnte nicht gut lügen. Sie hatte Gewissensbisse, weil sie ihre Verdächtigungen Dennis gegenüber für sich behielt und damit jetzt schon das Bündnis verletzte, das sie nach der Beerdigung geschlossen hatten. Manchmal wünschte sie, sie könnte härter sein und sich eine dickere Hornhaut auf der Seele zulegen.
»Wieso?«, fragte sie ausweichend.
Sie biss in eine Zwetschge und blickte zur Kälbertür. Die Decke lag noch davor, als hofften sie immer noch, dass Lukas eines Morgens einfach wieder dort liegen würde. Rebecca hatte sich kaum beherrschen können, als Dennis ihr am Tag nach Lukas’ Verschwinden vorgeschlagen hatte, ihn bei der Polizei als entlaufen zu melden.
Rebecca hatte es dann tatsächlich getan, wie zynisch es auch war. Sie wollte Dennis nicht misstrauisch machen, und die Polizei hatte mit dem auszufüllenden Formular für entlaufene Hunde wenigstens einen Anhaltspunkt, um Lukas identifizieren zu können, falls irgendwo ein toter Hund gefunden wurde.
Suzan legte ihr Messer hin und schüttete den Haufen Kerne und Schalen von ihrer Zeitung in den Abfalleimer. »Ich hoffe, wir drei können immer ehrlich miteinander umgehen«, sagte sie. »Sonst schaffen wir es nämlich nicht.«
»Das weiß ich ja«, sagte Rebecca.
»Ist irgendetwas zwischen dir und Dennis?«
»Nein«, antwortete Rebecca. »Was soll denn sein?«
»Ich weiß nicht. Du wirkst so verändert.«
»Ich habe mich verändert, weil alles sich verändert hat«, erwiderte Rebecca. »Mein Vater ist tot.« Sie merkte, dass sie Suzan böse vor den Kopf gestoßen hatte, und entschuldigte sich sofort. »Tut mir leid«, sagte sie.
Sie war ihrer Intuition gefolgt, hatte ihre Wut hinuntergeschluckt und sich Dennis gegenüber nichts anmerken lassen. Sie befürchtete, er würde sich aus dem Staub machen, wenn sie ihn mit ihren Verdächtigungen konfrontierte, und diesen Gedanken konnte sie nicht ertragen. Nicht einmal Atie hatte sie ins Vertrauen gezogen. Sie hatte ihr lediglich erzählt, dass sie nicht an den Selbstmord ihres Vaters glaubte und nicht wisse, wie sie damit umgehen solle. Daraufhin hatte ihr Atie die Adresse dieses Privatdetektivs besorgt. Aties Vater hatte gesagt, er sei ein Kripobeamter mit langjähriger Erfahrung im Amsterdamer Morddezernat und habe letztes Jahr im Handumdrehen einen Betrugsskandal auf dem Großmarkt aufgedeckt. Rebecca hatte eine halbe Nacht an ihrem Schreibtisch gesessen und sämtliche Anhaltspunkte sorgfältig zu Papier gebracht.
Als sie den Detektiv aus dem Haus kommen sah, erkannte sie in ihm sofort den Mann wieder, der mit einem kleinen Blumenstrauß auf einem Grab gesessen und leise Selbstgespräche geführt hatte. Mit seinem unrasierten Gesicht und seinem stumpfen Blick sah er immer noch aus, als sei er in einen tiefen Abgrund gefallen, aus dem er nie wieder rauskommen würde,
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