Rebecca
betrieb, dabei war sie einfach eine gute Kriminalpolizistin, die hart sein konnte, wenn es sein musste. Außerhalb der Dienstzeiten war sie eine glücklich verheiratete Mutter zweier Töchter, die noch zur Schule gingen.
»Hat es damit etwas zu tun?«, fragte sie.
»Nein. Der alte Journalist, der den Unfall verursacht hat, konnte nichts dafür. Er war einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.«
»Hört sich dein Nein so überzeugt an, weil du durchaus weißt, wer es war und warum?«
»Ich weiß nicht, wie ich mich momentan anhöre. Ich kann derzeit meine Gedanken nicht besonders gut zusammenhalten.«
»Das merke ich, sonst wäre dir nämlich klar, dass ich dir helfen kann.«
Ich schüttelte vorsichtig den Kopf. »Nein, du kannst mir leider nicht helfen, außer du möchtest mein Knie massieren.«
Bea lächelte nicht. »Wir glauben, dass es nur einer war. Einer deiner Nachbarn, der gerade mit seinem Hund spazieren ging, sah einen Mann auf einem Fahrrad wegfahren.«
»Die Kopfschmerzen werden schlimmer, wenn ich nachdenken muss. Können wir nicht lieber über das Wetter reden? Oder ein paar Polizei-Anekdoten austauschen? Hast du viel zu tun im Moment?«
»Wie immer.«
»Einbräche, Morde, organisiertes Verbrechen, mysteriöse Fälle?«
»Wir sind hier nicht in Amsterdam«, entgegnete sie. »Noch nicht, jedenfalls.«
»Ich habe neulich von einem Mann gelesen, der vergessen hat, auszusteigen, bevor er ein gestohlenes Auto in einem Teich versenkte. Ist das keine nette Anekdote?«
Sie warf mir einen misstrauischen Blick zu und beschloss dann offenbar, so zu tun, als sei es eine unschuldige Frage. »So ein Teich heißt bei uns Wehl.«
»Wisst ihr schon, wer es war?«
»Natürlich. Jan Schreuder. Aus Brabant. Wir recherchieren noch, aber er hat kein Vorstrafenregister. Die Autopsie hat keinerlei Hinweise auf Fremdeinwirkung ergeben, bis jetzt jedenfalls.« Sie kniff die Augen zusammen. »Es sei denn, du weißt mehr?«
Ich grinste und berührte meine Wange. »Das hier kann er jedenfalls nicht gewesen sein. Kein eingeschlagener Schädel, keine Kampfspuren?«
»Na ja, er hatte schon ein paar Tage im Wasser gelegen. Warum interessierst du dich denn so für ihn?«
»Ach, ich langweile mich hier zu Tode. Jedes kleine Schwätzchen ist eine willkommene Abwechslung.«
Sie nickte und stand auf. »Ich behalte dich im Auge!«, warnte sie.
Rebecca kam früher, als ich erwartet hatte. Ich saß noch bei Tee und Toast am weißen Küchentisch, als ich sie klopfen hörte. Es klang schüchtern, als widerstrebe es ihr, allein einen älteren Mann aufzusuchen, der ihr bei der ersten Begegnung schon einen Heidenschrecken eingejagt hatte. Und diesmal sah ich auch noch aus wie durch den Fleischwolf gedreht.
»Tag, Rebecca«, sagte ich. »Komm rein.«
Ihre Gespenster trugen Stiefel mit Metallkappen. Sie durfte nicht bei mir gesehen werden und ich hätte sie gern so schnell wie möglich reingeholt, aber sie blieb zunächst vor der Tür stehen und starrte mich erschrocken an. Ihre Augen waren von einem tiefen Kastanienbraun. Sie hatte ausgeblichene Jeans und eine beigefarbene Strickjacke mit offenem V-Ausschnitt an. Sie trug keinen Schmuck, und ohnehin schaute man ihr automatisch ins Gesicht. Ihr Aussehen passte zu ihrem Namen. Sie glich der Rebecca aus Sir Walter Scotts Ivanhoe und vielleicht hatte Ibsen eine Frau wie sie vor Augen gehabt, als er sein Drama Rosmersholm schrieb.
»Ich bin die Terrasse runtergefallen«, erklärte ich. »Sieht schlimmer aus, als es ist.«
Endlich kam sie herein und ich schloss die Tür und hinkte vor ihr her. Der Verband saß wie eine kugelsichere Weste um meine Rippen. Das Osterei schrumpfte jedoch allmählich und ich konnte wieder durch die Nase atmen. Ich durfte drei Tage lang die Maximaldosis von vier Schmerztabletten am Tag einnehmen, danach musste ich auf zwei reduzieren und schließlich auf eine, um nicht von dem Zeug abhängig zu werden. Ein Taxi hatte mich am Samstagmorgen nach Hause gebracht und die Pillen hatten mir durch die Nacht geholfen. Die Pillen und ich durften allerdings nicht zusammen Auto fahren und mein Verstand war zu umnebelt, um mich an den Computer zu setzen. Daher hatte ich ein wenig im Garten herumgewurstelt. Dabei fand ich die kleine Flasche im Gras neben der Einfahrt. Sie war nicht zerbrochen, nur ein Stück hinuntergerollt und an der Seite liegen geblieben. Ich öffnete sie und hielt sie mir unter die Nase, drückte den Korken aber blitzschnell wieder
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