Rebecca
einem Fenster, vor dem die Jalousie halb heruntergelassen war, und ich hatte es für mich allein. Draußen sah ich Baumwipfel und Krähen am blauen Himmel, und ich erkannte, dass ich im Bezirkskrankenhaus außerhalb von Leerdam lag.
»Sie sollten sich nicht zu viel bewegen. Sie haben einige Rippenprellungen und eine leichte Gehirnerschütterung und Ihr Knie ist verletzt, das dürfen Sie vorläufig nicht zu stark belasten. Außerdem haben Sie jede Menge Blutergüsse und Schürfwunden. Ihre Schulter war halb ausgekugelt. Ihre Nase ist nicht gebrochen, da haben Sie Glück im Unglück gehabt. Wir haben die Wunden desinfiziert und Ihnen Schmerzmittel gegeben. Sie haben zwölf Stunden geschlafen, das war schon mal gut. Es hätte sehr viel schlimmer kommen können.«
»Wie beruhigend«, sagte ich.
Eine ältere Krankenschwester, die daneben stand, lächelte.
Die Ärztin sagte: »Ich schaue heute am späten Nachmittag noch einmal bei Ihnen vorbei. Vielleicht können wir Sie morgen schon wieder entlassen. Heute Nacht müssen Sie aber auf jeden Fall noch hier bleiben.« Sie sprach energisch, duldete keinen Widerspruch. »Schwester Anja wird Ihnen gleich Ihr Essen bringen und anschließend etwas zum Schlafen geben. Genau das brauchen Sie nämlich: Schlaf.«
»Wo sind meine Kleider?«
»In der Wäsche.« Die Krankenschwester hatte ein mütterliches Gesicht. »Ihre persönlichen Gegenstände liegen in der Nachttischschublade.« Sie wies mit einem Nicken darauf.
»Wenn Sie entlassen werden, müssen Sie vorher nochmal in die Verwaltung«, sagte die Ärztin.
»Draußen wartet noch die Dame«, erinnerte sie die Krankenschwester.
Eine Dame?
Doktor Smeding nickte. »Bitte sorgen Sie dafür, dass sie nicht allzu lange bleibt. Bis nachher, Meneer Winter.«
Ich wollte ihr danken, aber sie marschierte schon aus dem Zimmer hinaus, die Schwester im Schlepptau.
Drei Minuten später ging die Tür wieder auf.
»Sieh mal einer an«, sagte ich.
Bea Rekké trat neben mein Bett. »Was für ein hübsches Osterei. Hast du das selbst gefärbt?«
»Du nähst deine reizenden Kostüme doch auch nicht selber?«
Bea lachte, zog sich den Stuhl heran und schlug die Beine übereinander. Sie hatte schöne Beine, trug jedoch stets strenge Kostüme, diesmal ein mausgraues Exemplar mit feinen Nadelstreifen. Ein olivgrüner Seidenschal um den Hals sorgte für einen Hauch Eleganz. Sie arbeitete für die Kripo des De-Waarden-Bezirks mit Sitz in Tiel. Ich hatte sie nach dem Mord an meiner Nachbarin Jenny kennen gelernt und wir waren anfangs ziemlich ruppig miteinander umgegangen, weil sie mich länger und hartnäckiger als Marcus Kemming für den Mörder gehalten hatte.
»Ich war in Geldermalsen und habe den Bericht über dein kleines Missgeschick gelesen. Da dachte ich mir, Max Winter ist doch nicht einer, der ganz zufällig von irgendwelchen Passanten niedergeschlagen wird.«
»Mir ist nichts Menschliches fremd. Ich glaube, es waren Einbrecher.«
»Komisch, warum haben die dann nicht eingebrochen, während du bewusstlos warst, wo doch die Tür sperrangelweit offen stand?«
»Haben sich deine Kollegen darüber gewundert?«
»Die Kollegen haben das zu Protokoll genommen, was du erzählt hast, bevor du in den Krankenwagen verfrachtet wurdest, und das war nicht gerade viel.«
»Mehr gibt es auch nicht. Ich bin rausgegangen und wurde von einer oder mehreren unbekannten Personen zusammengeschlagen.«
»Warum bist du rausgegangen?«
»Ich hatte vergessen, mein Auto abzuschließen.«
»Und diese Person oder diese Personen haben draußen auf dich gewartet?«
»Vielleicht sind sie genau in dem Moment gekommen, als ich rausging, ich habe sie vorher nicht gesehen.«
»Du sollst mich nicht anlügen.«
»Ich habe dich noch nie angelogen.«
Bea dachte einen Augenblick nach. »Das stimmt«, sagte sie dann. »Allerdings hast du die Angewohnheit, einem alles Mögliche zu verschweigen, sodass du nicht zu lügen brauchst. An welchem Fall arbeitest du gerade?«
»An keinem.« Ich schüttelte heftig den Kopf.
Sie sah, wie ich das Gesicht zu einer schmerzlichen Grimasse verzog, und schwieg eine Weile. Dann legte sie ihre Hand auf meine. »Marcus hat mir von deiner Frau und deiner Tochter erzählt. Es tut mir so leid für dich. Ich finde gar nicht die richtigen Worte.«
»Ach, das geht allen so.«
Ich wusste, dass sie es ehrlich meinte. Als ich sie kennen lernte, hielt ich sie für die harte Hälfte eines lesbischen Paares, das ein Zwangsarbeitslager
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