Rebecca
»Hier haben Sie ihn wieder.«
Ich legte den Euro zurück in die Schublade. »Du brauchst mich jetzt auch nicht mehr zu siezen, sonst sage ich Fräulein Welmoed zu dir.«
»Aber Sie sind doch viel älter als ich«, entgegnete sie.
»Tja, der Zahn der Zeit. Aber jetzt bist du meine Klientin, und meine Klienten sagen Max zu mir.«
Sie lächelte mich an. »Aber nicht Max de Winter, oder?«
»Hieß der nicht Maxim? Du hast Daphne du Maurier gelesen.«
Sie verdrehte die Augen. »Ich habe fünf oder sechs Ausgaben von Rebecca. Alle halten das für ein besonders originelles Geschenk. Das erste Exemplar bekam ich zu meinem zehnten Geburtstag und es war, wie gesagt, nicht das letzte. Ich habe sogar eine polnische Ausgabe, von Rutger, dem Sänger in der Band meines Bruders, er geht mit Rob zur Schule. Er hat es bei einem Urlaub in Polen auf einem Bücherflohmarkt gefunden.«
Ich sah, dass sie leicht errötete, bevor sie sich umdrehte, Kaffee in die Gläser goss und fragte, ob ich meinen mit Milch und Zucker trank. Sie gab beides in ihr Glas und setzte sich mir gegenüber an den Tisch. »Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll«, sagte sie. »Ich kann nicht mal mit Rob darüber reden. Die Gärtnerei ist das Einzige, was ihn aufrecht hält.«
»Du hast mich engagiert«, sagte ich. »Und ich kann mir denken, dass das keine leichte Entscheidung war.« Ich klopfte auf die rosafarbene Mappe. »Du kannst deine Sachen natürlich jederzeit wieder mit nach Hause nehmen, aber was ist, wenn du Recht hast?«
Sie nickte. »Nein, ich kann nicht mehr zurück. Bitte machen Sie weiter, ich meine …« Sie zögerte. »Natürlich nur, wenn Sie wollen.«
Die Dickköpfigkeit, die mir beim ersten Mal schon aufgefallen war, machte sich wieder bemerkbar. »Okay. In deiner E-Mail hast du etwas über Suzan geschrieben. Fangen wir damit an.«
»Auf dem Markt wurde sie von einem Mann angesprochen. Er nannte sie Molly und schien sie zu kennen. Suzan behauptete, es sei eine Verwechslung, aber sie war anschließend völlig durcheinander. Dennis ist dem Mann gefolgt und ich glaube, dass er etwas über Suzans Vergangenheit herausgefunden hat und sie damit zu erpressen versucht.«
»Wie kommst du auf diese Idee?«
»Ich habe die beiden abends in der Küche reden gehört. Er hat sie belästigt. Es war schrecklich. Sie haben sich gestritten.«
Rebecca wurde wieder rot. Ich dachte, sie genierte sich, weil sie die beiden heimlich belauscht hatte, aber dann sah ich, kurz bevor sie sich abwandte, einen Funken der Wut, als könne sie es nicht vertragen, dass Dennis jetzt ihrer Stiefmutter Avancen machte.
Sie hatte mit ihm geschlafen. Schlief womöglich immer noch mit ihm.
Ich hatte keine Ahnung, wie sechzehnjährige Mädchen gestrickt waren, wahrscheinlich ebenso kompliziert und widersprüchlich wie die meisten Frauen, die ich gekannt hatte. Doch erwachsene Frauen hatten ihren Gesichtsausdruck unter Kontrolle. Rebecca war zu jung für subtile diplomatische Täuschungen, sie verriet sich noch durch ihr Erröten. Man konnte in ihr lesen wie in einem offenen Buch, obwohl sie bereits versuchte, einige Kapitel zu verbergen. Ich fragte mich immer noch, wie ich damit umgehen sollte. Ich trank von meinem Kaffee und machte vorerst keinen Versuch, die Stille zu durchbrechen.
»Hast du Dennis ganz bestimmt nicht erzählt, dass du am Selbstmord deines Vaters zweifelst?«, fragte ich dann.
»Nein, natürlich nicht.« Sie sah mich nicht an.
»Er hat dich gerettet«, begann ich vorsichtig. »So was schafft ein besonderes Band, das ist ja leicht nachzuvollziehen.«
Sie runzelte die Stirn. Sie wusste, was ich meinte. Ihr Blick wurde entschlossen, sie wollte nicht um den heißen Brei herumreden. »Okay«, sagte sie. »Es ist einmal passiert, aber es war ein schrecklicher Fehler.«
»Okay.«
Sie beruhigte sich wieder und starrte ein paar Sekunden lang still vor sich hin. Dann lächelte sie verbittert.
»Woran denkst du?«
»An Edmund Spenser«, sagte sie. »An eines seiner Gedichte, das meine Mutter angestrichen hat.« Sie schüttelte den Kopf, wollte sich die andere Sache von der Seele reden. »Es war in der Nacht nach der Beerdigung. Elena war gekommen und ich hörte sie und Rob im Nebenzimmer. Ich konnte nicht schlafen, es ging mir sehr schlecht. Da bin ich zu seinem Wohnmobil gegangen.«
Davon stand nichts in ihrem Bericht.
»Das ist eine absolut menschliche Reaktion«, sagte ich. »Du brauchst nicht darüber zu reden, wenn du nicht willst.«
Ich
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