Rebecca
neugierig. Aber das ist es nicht, glauben Sie mir. Es ist nur – ich habe einfach manchmal das Gefühl, daß ich hier in einem besonders ungünstigen Licht erscheinen muß. Das Leben auf Manderley ist mir etwas so völlig Ungewohntes. Gar nicht das Leben, für das ich erzogen worden bin. Wenn ich so wie heute nachmittag von diesen Besuchen zurückkomme, dann weiß ich, daß die Leute hinterher über mich reden und sich fragen, ob ich wohl meiner Stellung als Herrin von Manderley gewachsen bin. Ich kann mir genau vorstellen, wie sie sagen: ‹Was in aller Welt findet Maxim bloß an ihr?› Und dann, Frank, fange ich selbst an, darüber nachzugrübeln und daran zu zweifeln, und ich habe das schreckliche, quälende Gefühl, daß ich Maxim niemals hätte heiraten dürfen und daß wir nicht glücklich miteinander werden. Verstehen Sie?
Jedesmal, wenn ich neue Menschen kennenlerne, spüre ich förmlich, wie sie die ganze Zeit immer nur daran denken, daß ich so ganz anders bin als Rebecca.»
Atemlos hielt ich inne und schämte mich bereits wieder, daß ich so herausgeplatzt war, und dabei wußte ich genau, daß ich auf jeden Fall meine Schiffe hinter mir verbrannt hatte. Er wandte sich mit einem besorgten und bekümmerten Gesicht mir zu.
«Bitte, Mrs. de Winter, das dürfen Sie nicht denken», sagte er. «Was mich anbetrifft, so kann ich Ihnen nur offen sagen, wie sehr ich mich darüber freue, daß Sie Maxim geheiratet haben.
Das hat seinem Leben eine neue Richtung gegeben. Ich bin fest davon überzeugt, daß Ihre Ehe ein Erfolg wird. Meiner Ansicht nach ist es – ist es sehr wohltuend und beglückend, einem Menschen zu begegnen, der wie Sie nicht ganz –» er errötete, während er nach einem passenden Ausdruck suchte – «sagen wir, nicht ganz mit den Lebensgewohnheiten von Manderley vertraut ist. Und wenn die anderen Leute Sie kritisieren sollten, dann ist das – nun
– dann ist das eine verdammte Unverschämtheit, mehr ist darüber nicht zu sagen. Mir ist noch nie eine solche Kritik zu Ohren gekommen, aber ich würde schon dafür sorgen, daß den Leuten ein für allemal der Mund gestopft wird.»
«Das ist riesig nett von Ihnen, Frank», sagte ich, «und Sie haben mir mit Ihren Worten sehr geholfen. Ich bin wahrscheinlich sehr dumm. Ich tauge eben nicht dazu, solche Besuche zu machen und zu empfangen, ich habe das noch nie tun müssen, und ich muß dauernd daran denken, wie es früher hier auf Manderley gewesen ist, als es noch jemanden gab, der dafür geboren und erzogen war und der all diesen gesellschaftlichen Verpflichtungen ganz selbstverständlich und mühelos nachkam. Und täglich mache ich mir von neuem klar, was mir alles fehlt: Selbstvertrauen, Anmut, Schönheit, Intelligenz, Witz – all diese Eigenschaften, die bei einer Frau das Wesentlichste sind – und die sie besessen hat. Es hilft doch nichts, Frank, ich muß immer wieder daran denken.»
Er schwieg und sah noch immer besorgt und richtig niedergeschlagen aus. Er zog sein Taschentuch heraus und putzte sich die Nase. «Das dürfen Sie wirklich nicht sagen», entgegnete er dann.
«Aber warum denn nicht? Es ist doch wahr», sagte ich.
«Sie besitzen Eigenschaften, die mindestens so wesentlich sind, ja, im Grunde sogar viel wesentlicher. Es ist vielleicht vorwitzig von mir, das zu sagen, ich kenne Sie ja erst so kurze Zeit. Und außerdem bin ich Junggeselle – ich verstehe sehr wenig von Frauen. Ich führe hier auf Manderley ein sehr ruhiges, zurückgezogenes Leben, wie Sie ja wissen, aber ich möchte doch behaupten, daß ein liebenswürdig bescheidenes Wesen, Aufrichtigkeit und – wenn ich mich so ausdrücken darf – auch eine gewisse Zurückhaltung einem Mann, und gerade einem verheirateten Mann viel, viel mehr bedeuten als alle Schönheit und geistreiche Klugheit zusammen.»
Er sah auf einmal merkwürdig erregt aus und putzte sich wieder die Nase. Ich merkte, daß ich ihn viel mehr aus seinem Gleichgewicht gebracht hatte als mich selbst, und dieses Bewußtsein machte mich ruhiger und gab mir ein Gefühl der Überlegenheit. Ich begriff nicht, warum er sich so aufregte. Schließlich hatte ich doch gar nicht so viel gesagt.
Ich hatte ihm nur meine Unsicherheit gestanden, die ich als Nachfolgerin Rebeccas, die ich ja nun einmal war, empfand. Sie mußte diese Eigenschaften, die er mir zuschrieb, ja gerade besessen haben. Sie war bestimmt liebenswürdig und aufrichtig gewesen bei dem großen Freundeskreis und ihrer allgemeinen Beliebtheit.
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