Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
kennen gelernt, als Rebecka Sanna Strandgårds Verteidigung übernommen hatte. Und Anna-Maria und ihr Kollege Sven-Erik Stålnacke hatten Rebecka in jener Nacht das Leben gerettet.
Damals war Anna-Maria schwanger und geradezu viereckig gewesen, jetzt war sie schlank. Aber breitschultrig. Sie sah stark aus, obwohl sie so klein war. Sie trug noch immer denselben dicken Zopf. Weiße regelmäßige Zähne in dem braun gebrannten Pferdegesicht. Ein Polizeipony.
»Hallo!«, rief Anna-Maria Mella.
Dann verstummte sie. Sie sah aus wie ein Fragezeichen.
»Ich…«, sagte Rebecka, wusste nicht weiter und nahm wieder Anlauf. »Meine Kanzlei verhandelt gerade mit schwedischen Kirchengemeinden, wir hatten hier eine Besprechung und…ja, da gab es noch ein paar Dinge, bei denen sie Hilfe brauchten, was das Pfarrhaus betrifft, und da wir ja ohnehin schon hier waren, habe ich gleich noch…«
Sie beendete den Satz mit einem Nicken zum Haus hinüber.
»Aber das hat nichts zu tun mit…«, fragte Anna-Maria.
»Nein, als ich hergekommen bin, wusste ich nicht einmal… Nein. – Was ist es geworden?«, fragte Rebecka und versuchte, ein Lächeln in ihr Gesicht zu zwingen.
»Ein Junge. Ich habe gerade wieder mit der Arbeit angefangen, ich ermittle im Mordfall Mildred Nilsson.«
Rebecka nickte. Sie schaute zum Himmel hoch. Der war ganz leer. Der Schlüsselbund in ihrer Tasche wog eine Tonne.
Was bin ich, überlegte sie. Ich bin nicht krank. Ich habe keine Krankheit. Ich bin nur faul. Faul und verrückt. Ich habe nichts zu sagen. Das Schweigen frisst sich in mich hinein.
»Komische Welt, in der wir leben, was?«, fragte Anna-Maria. »Zuerst Viktor Strandgård und jetzt Mildred Nilsson.«
Wieder nickte Rebecka. Anna-Maria lächelte. Das Schweigen der anderen schien ihr überhaupt nichts auszumachen, aber jetzt wartete sie geduldig darauf, dass Rebecka doch etwas sagte.
»Was glaubst du selbst?«, brachte Rebecka heraus. »Kann da jemand ein Album über den Mord an Viktor angelegt und beschlossen haben, der Sache eine zweite Folge hinzuzufügen?«
»Vielleicht.«
Anna-Maria schaute in eine Tanne hoch. Hörte ein Eichhörnchen den Stamm hinauflaufen, sah es aber nicht. Es war auf der anderen Seite, erreichte den Wipfel und ließ dort oben die Zweige rascheln.
Vielleicht hatte irgendein Irrer sich von Viktor Strandgårds Tod inspirieren lassen. Oder es war jemand gewesen, der sie gekannt hatte. Der gewusst hatte, dass sie in der Kirche Gottesdienst abhalten und wann sie zu ihrem Boot gehen würde. Sie hatte sich nicht gewehrt. Und warum hatte er sie aufgehängt? Im Mittelalter waren Köpfe auf Pfähle aufgespießt worden. Zur Warnung für andere.
»Wie geht es dir?«, fragte Anna-Maria.
Rebecka sagte, gut. Wirklich gut. Es sei danach natürlich zuerst schwierig gewesen, aber sie habe gute Hilfe gefunden. Anna-Maria antwortete, das sei doch gut, sehr gut.
Anna-Maria sah Rebecka an. Sie dachte an die Nacht, in der die Polizei zu der Hütte in Jiekajärvi gefahren war und Rebecka gefunden hatte. Sie selbst war nicht dabei gewesen, weil bei ihr bereits die Wehen eingesetzt hatten. Aber danach hatte sie oft davon geträumt. Im Traum fuhr sie mit dem Schneemobil durch Dunkelheit und Schneesturm. Rebecka lag blutend auf dem Schlitten. Der Schnee stob ihr ins Gesicht. Die ganze Zeit hatte sie schreckliche Angst, mit etwas zusammenzustoßen. Dann blieb sie stecken. Stand da in der Kälte. Das Schneemobil dröhnte ohnmächtig. Dann fuhr sie meistens mit einem Ruck aus dem Schlaf. Lag da und sah Gustav an, der zwischen ihr und Robert leise schnarchte. Auf dem Rücken. Absolut geborgen. Die Arme in einem Winkel von neunzig Grad an der Seite, wie kleine Babys das so machen. Alles ging gut, dachte sie dann immer. Alles ging gut.
So verdammt gut ist das nun auch wieder nicht gegangen, dachte sie jetzt.
»Wirst du jetzt nach Stockholm zurückfahren?«, fragte sie.
»Nein, ich hab mir ein paar Tage freigenommen.«
»Du hast doch die Hütte deiner Großmutter in Kurravaara, wohnst du da?«
»Nein, ich…nein. Hier im Ort. Das Restaurant vermietet Hütten.«
»Du warst also noch nicht in Kurravaara?«
»Nein.«
Anna-Maria sah Rebecka forschend an.
»Wenn du willst, können wir zusammen hinfahren«, sagte sie.
Rebecka lehnte dankend ab. Sie habe bisher nur noch keine Zeit gehabt, erklärte sie. Sie verabschiedeten sich voneinander. Ehe sie sich trennten, sagte Anna-Maria: »Du hast diese Kinder gerettet.«
Rebecka nickte.
Damit kann
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