Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
geleistet. Sie wollte dort jemanden besuchen. Es war die schlimmste Zeit im Jahr gewesen. Natürlich nicht zu Hause in Lund. Aber in Kiruna. Die Straßen waren voller Kies und jeder Menge Abfall, der aus dem Schnee herausgeschmolzen war.
Nichts Grünes. Nur Schmutz, Schrott und haufenweise Kies.
Stefan hatte mit seiner Frau telefoniert. Sie besuchte mit den jüngsten Kindern ihre Mutter in Katrineholm. Sie hörte sich fröhlicher an.
Stefan sieht Mildred an. Auch sie kommt ihm fröhlich vor. Hält ihr Gesicht in die Sonne und atmet tief und genüsslich. Es muss ein Segen sein, keinen Schönheitssinn zu haben. Dann können Schmutz und Kies die Stimmung wohl nicht verderben.
Es ist schon seltsam, denkt er, nicht ohne Bitterkeit, dass Kristin froher wird und neue Kraft findet, wenn sie eine Weile von ihm getrennt ist. So sieht sein Bild von der Ehe eigentlich nicht aus, man sollte beieinander Kraft und Hilfe finden. Dass sie nicht die Stütze ist, auf die er gehofft hatte, hat er schon vor langer Zeit akzeptiert. Aber jetzt hat er das Gefühl, dass er für sie auch nicht mehr genug ist. »Ach, noch eine Weile«, antwortet sie vage, wenn er fragt, wie lange sie noch fortbleiben wird.
Mildred will ihm die Briefe nicht geben.
»Du kannst jederzeit mein Leben ruinieren«, sagt er mit schiefem Lächeln zu ihr.
Sie schaut ihm fest in die Augen.
»Dann musst du üben, Vertrauen zu mir zu haben«, sagt sie.
Er sieht sie von der Seite an. Wenn sie so nebeneinander gehen, fällt ihm auf, wie klein sie ist. Ihre Vorderzähne sind wirklich unnatürlich winzig. Sie sieht in jeder Hinsicht wie eine Wühlmaus aus.
»Ich habe vor, die Frage der Verpachtung an den Jagdverein mit dem Gemeindevorstand zu besprechen. Der Pachtvertrag läuft zu Weihnachten doch aus. Und wenn wir an jemanden verpachten, der bezahlen kann…«
Er traut seinen Ohren nicht.
»So ist das also«, sagt er und staunt darüber, wie ruhig seine Stimme klingt. »Du willst mir drohen. Wenn ich mich für die weitere Verpachtung an den Jagdverein einsetze, dann wirst du von Kristins Briefen erzählen. Das ist übel, Mildred. Jetzt zeigst du wirklich dein wahres Ich.«
Er spürt, wie sein Mund in seinem Gesicht ein Eigenleben führt. Er verzieht sich zu einer weinerlichen Grimasse.
Wenn Kristin sich nur ausruhen kann, dann wird sie ihr Gleichgewicht zurückgewinnen. Aber wenn das mit den Briefen herauskommt. Er kann schon hören, wie sie sich darüber beklagt, dass hinter ihrem Rücken getuschelt wird. Sie wird sich noch mehr Feinde zulegen. Bald wird sie an mehreren Fronten Krieg führen. Und dann werden sie untergehen.
»Nein«, sagt Mildred. »Ich drohe nicht. Ich werde auf jeden Fall schweigen. Ich wünschte nur, du…«
»Wärst ein bisschen dankbar?«
»Könntest mir in einer einzigen Angelegenheit entgegenkommen«, sagt sie müde.
»Gegen mein Gewissen?«
Und jetzt geht sie hoch. Zeigt ihr wahres Ich.
»Ach, hör doch auf! Das ist ja wohl kaum eine Gewissensfrage!«
Sven-Erik Stålnacke wiederholte seine Frage: »Waren Sie ihr dankbar? Wenn wir bedenken, dass Sie nicht gerade die besten Freunde waren, dann war es doch großzügig von ihr, niemandem von den Briefen zu erzählen.«
»Ja«, würgte Stefan nach einer Weile aus sich heraus.
Sven-Erik schmunzelte. Anna-Marias Rücken löste sich von der Tür.
»Noch etwas«, sagte Sven-Erik. »Die Buchführung der Wolfsstiftung. Befindet die sich hier im Pfarrbüro?«
Stefan Wikströms Augen begannen unruhig zu flattern.
»Was?«
»Die Buchführung der Wolfsstiftung, haben Sie die hier?«
»Ja.«
»Die würden wir uns gern ansehen.«
»Brauchen Sie dafür nicht irgendeine Vollmacht vom Staatsanwalt?«
Anna-Maria und Sven-Erik tauschten einen raschen Blick. Sven-Erik stand auf.
»Verzeihung«, sagte er. »Ich muss zur Toilette. Wo…«
»Links, durch die Tür zum Sekretariat und dann wieder links.«
Sven-Erik verschwand.
Anna-Maria zog die Kopie der Zeichnung der gehängten Mildred hervor.
»Das hat jemand an Mildred Nilsson geschickt. Haben Sie das schon einmal gesehen?«
Stefan Wikström nahm das Bild. Seine Hand zitterte nicht.
»Nein«, sagte er.
Er gab ihr die Zeichnung zurück.
»Sie haben nichts in dieser Art bekommen?«
»Nein.«
»Und Sie haben keine Ahnung, wer ihr das geschickt haben kann? Sie hat es nie erwähnt?«
»Ich und Mildred waren nicht vertraulich miteinander.«
»Sie können mir vielleicht eine Liste von Leuten machen, mit denen ich Ihrer Ansicht nach
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