Rebecka Martinsson 02 - Weisse Nacht
Hielt dort Ausschau nach dem schwarz gekleideten Jungen, konnte ihn aber nicht entdecken.
Konnte er zur Pastorenfamilie gehören? Oder war er jemand, der vielleicht einbrechen wollte? Und der überrascht gewesen war, weil jemand dort war.
Noch etwas anderes ließ ihr keine Ruhe.
Stefan Wikströms Frau. Die hieß Kristin Wikström.
Kristin. Diesen Namen kannte sie doch.
Dann fiel es ihr ein. Sie fuhr an den Straßenrand und hielt an. Streckte die Hand nach den Briefen an Mildred aus, die Fred Olsson interessant gefunden und deshalb ausgesondert hatte.
Zwei davon waren mit »Kristin« unterschrieben.
Anna-Maria überflog sie. Der eine war vom März datiert und in einer gepflegten Handschrift gehalten.
»Lass uns in Ruhe. Wir wollen Ruhe und Frieden. Mein Mann braucht Arbeitsruhe. Soll ich auf die Knie fallen? Ich falle auf die Knie. Und flehe: Lass uns in Ruhe.«
Der zweite war etwas über einen Monat später datiert. Es war zu sehen, dass er von derselben Person stammte, aber die Handschrift war heftiger, die Haken am G waren lang, und einige Wörter waren unsauber durchgestrichen:
»Du glaubst vielleicht, wir WÜSSTEN nicht. Aber alle begreifen, dass es kein Zufall ist, dass du dich ein Jahr, nachdem mein Mann seinen Dienst hier am Ort angetreten hat, um die Stelle in Kiruna beworben hast. Und ich VERSICHERE dir, wir WISSEN . Du arbeitest mit Gruppen und Organisationen zusammen, die als EINZIGES Ziel haben, gegen ihn zu arbeiten. Mit deinem HASS vergiftest du Brunnen. Aber diesen HASS wirst du selbst trinken.«
Was mache ich jetzt, überlegte Anna-Maria. Zurückfahren und sie an die Wand stellen?
Sie rief Sven-Erik Stålnacke an.
»Wir reden lieber mit ihrem Kerl«, schlug der vor. »Ich bin ohnehin auf dem Weg ins Pfarrbüro, um mir die Buchhaltung dieser Wolfsstiftung zu holen.«
STEFAN WIKSTRÖM SEUFZTE tief hinter seinem Schreibtisch. Sven-Erik Stålnacke hatte sich im Besuchersessel niedergelassen. Anna-Maria Mella lehnte mit verschränkten Armen an der Tür.
Ab und zu ist sie so…unpädagogisch, dachte Sven-Erik und sah Anna-Maria an.
Eigentlich hätte er sich diesen Wicht allein vornehmen sollen, das wäre besser gewesen. Anna-Maria konnte ihn nicht leiden und machte sich auch nicht die Mühe, das zu verbergen. Sicher, Sven-Erik hatte ja auch über den Streit zwischen Mildred und diesem Pastor gelesen, aber jetzt waren sie doch dienstlich hier.
»Ja, ich weiß von diesen Briefen«, sagte der Pastor.
Er stützte den linken Ellbogen auf den Schreibtisch und legte die Stirn gegen Fingerspitzen und Daumen.
»Meine Frau…sie…manchmal geht es ihr nicht so gut. Nicht dass sie psychisch krank wäre, aber ab und zu ist sie eben labil. Das hier ist sie im Grunde gar nicht.«
Sven-Erik Stålnacke und Anna-Maria Mella schwiegen.
»Sie sieht bisweilen am helllichten Tag Gespenster. Sie würde niemals…Sie glauben doch wohl nicht…?«
Er ließ die Stirn los und schlug mit der Handfläche auf den Tisch.
»Wenn ja, dann wäre das total absurd. Herrgott, Mildred hatte doch Hunderte von Feinden.«
»Unter anderem Sie?«, fragte Anna-Maria.
»Das nun wirklich nicht. Stehe ich jetzt auch schon unter Verdacht? Ich und Mildred waren in Sachfragen oft unterschiedlicher Meinung, das ja, aber dass ich oder die arme Kristin etwas mit dem Mord zu tun haben sollten…«
»Das haben wir ja auch gar nicht behauptet«, sagte Sven-Erik.
Er runzelte die Stirn auf eine Weise, die Anna-Maria dazu brachte zu schweigen und zuzuhören.
»Was hat Mildred zu diesen Briefen gesagt?«, fragte Sven-Erik.
»Sie hat mich darüber informiert, dass sie sie bekommen hat.«
»Warum hat sie sie aufbewahrt, was meinen Sie?«
»Ich weiß nicht, ich selbst bewahre sogar alle Weihnachtskarten auf.«
»Haben noch andere davon gewusst?«
»Nein, und ich wäre dankbar, wenn das so bleiben könnte.«
»Mildred hat also sonst mit niemandem darüber gesprochen?«
»Nein, nicht dass ich wüsste.«
»Waren Sie ihr dafür dankbar?«
Stefan Wikström kniff die Augen zusammen.
»Was?«
Fast hätte er losgelacht. Dankbar. Er hätte Mildred dankbar sein sollen? Was für eine unsinnige Vorstellung. Aber was sollte er sagen? Er konnte doch nicht darüber sprechen. Mildred hielt ihn noch immer gefangen. Und benutzte seine Frau als Riegel. Und sie hatte von ihm Dankbarkeit erwartet.
Mitte Mai hatte er sich gedemütigt und war zu Mildred gegangen, um sie um die Briefe zu bitten. Er hatte ihr auf dem Weg ins Krankenhaus Gesellschaft
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