Rebellen: Roman (German Edition)
studiert, wirst du das wohl auch können.«
»Es ist hart, aber ich helfe dir«, sagte Maximilian.
»Kariertes Hemd und Samenstau, hurra, ich studier Maschinenbau.«
»Schluss jetzt«, sagte die Mutter. »Du bekommst von uns keinen Pfennig. Nicht für Soziologie.«
Damit war die Sache für sie erledigt.
Alexander fand ein winziges Zimmer unter dem Dach in der Salzstraße. Besuch nach 22 Uhr verboten! Damenbesuch zu jeder Uhrzeit verboten! Frau Daus, die rüstige Vermieterin, kontrollierte einmal in der Woche, ob das Zimmerauch aufgeräumt war. Sie kassierte von ihm an jedem Ersten im Monat 50 Mark bar.
Morgens um vier Uhr wuchtete er auf dem Güterbahnhof Kisten mit Bananen und Apfelsinen aus den Waggons und stapelte sie auf die Ladenflächen der bereitstehenden Lastwagen. Eine Zeit lang trug er zusätzlich frühmorgens die Badische Zeitung aus. Das Geld, das er verdiente, reichte für die Miete, viele Dosen Ravioli und Packungen Mirácoli, beides jetzt seine Hauptnahrungsmittel. Manchmal, wenn sie Geld übrig hatten, trugen Alexander und Paul es in die Wolfshöhle, ein Lokal, das seinen Namen damals noch zu Recht trug. Dann aßen sie Pizza, tranken billigen, aber guten italienischen Wein und redeten über die kommende Revolution.
Das Geldverdienen war hart, trotzdem fühlte er sich so frei wie nie zuvor. Er hatte es Vater und Mutter gezeigt. Er ging seinen Weg auch ohne sie. Es machte ihn stolz, vielleicht nicht gerade morgens um vier, wenn sein Wecker klingelte, aber alles in allem war es ein guter Tausch.
Feierlich schrieb er sich am Institut für Soziologie ein, so als wäre dieser Schritt seine persönliche Unabhängigkeitserklärung. Jetzt war er Kommilitone von Mischa. Wahnsinn! Als Nebenfach wählte er Volkswirtschaft, eine ideale Kombination, dachte er. Die Soziologie würde ihm die Geheimnisse des menschlichen Zusammenlebens offenbaren, und die Volkswirtschaft ermöglichte ihm den Blick in die Ökonomie, den Maschinenraum der Gesellschaft gewissermaßen.
Das Institut für Soziologie lag in einer alten Bürgervilla aus den zwanziger Jahren, abseits, auf dem Weg nach Günterstal, abgeschottet vom normalen Unibetrieb. Weniger als hundert Studenten waren hier eingeschrieben, jeder kannte jeden, und über allem und allen schwebte die überragende Figur des Professors. Man munkelte, dass Heinrich Popitz in seinen Heidelberger Studientagen noch Assistent vonMax Weber gewesen sei. Alexander prüfte es nach. Weber starb 1920 in München, und aus dem Klappentext von Popitz’ Buch »Der entfremdete Mensch« erfuhr er dessen Geburtsjahr: 1925. Er war also sicher niemals Webers Assistent gewesen. Trotzdem hielt sich das Gerücht wie eine gut erzählte Geschichte.
Ein Student aus dem sechsten Semester erzählte ihm, Popitz’ Vater, ein konservativer Wirtschafts- und Rechtsgelehrter und preußischer Minister, habe sich früh dem Widerstand gegen Hitler angeschlossen und sei noch im Februar 1944 in Plötzensee hingerichtet worden. Der Professor selbst sprach nie über seine Familiengeschichte, zumindest nicht in den Vorlesungen und Übungen, die Alexander bei ihm besuchte.
Alexander, durch Elternhaus und Schule auf Konkurrenz getrimmt, fiel es schwer, die freundschaftliche geistige Atmosphäre im Institut anzunehmen. Es irritierte ihn, dass Professor Popitz, dem jedes Chefgehabe fremd und der kein lauter Mensch war, sondern eher still, fast scheu, dennoch die unangefochtene Autorität unter den Studenten und Assistenten war. Die ernsten Gespräche mit anderen Kommilitonen, die Vorlesungen von Popitz über Normen und Sanktionen und das Studium der Werke von Max Weber, den er schnell als eine Art von Gegen-Marx begriff, ähnlich belesen und mit ähnlich vielen Fußnoten und Querverweisen in seinen Werken (»noch so ein doppelstöckiges Buch«, spottete Paul, als er in »Wirtschaft und Gesellschaft« blätterte), zogen ihn an, aber sie beunruhigten ihn auch.
Schade, dass er Mischa so selten am Institut traf.
Auf der letzten Studentenvollversammlung war Mischa in seinem mittlerweile berühmt gewordenen roten Anorak ans Rednerpult marschiert und hatte langsam und deutlich ein Schreiben der Hans-Böckler-Stiftung vorgelesen.Die Stiftung verlangte von all ihren Stipendiaten eine Erklärung, dass sie nicht Mitglied im SDS waren. Wer diese Erklärung nicht abgab, an den würden die Zahlungen eingestellt. Schweigen herrschte im Audimax, als Mischa geendet hatte. Dann nahm er den Brief, zerriss ihn langsam und ließ
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