Rebellin der Leidenschaft
erkannte sie selbst in dem starken erwachsenen Mann noch den grimmigen kleinen Jungen, der nie die Kindheit gehabt hatte, die er verdient hätte.
»Ich scheue mich fast davor, dich dies zu fragen«, sagte der Herzog, »aber was führt dich eigentlich zu mir?«
Statt einer Antwort fragte Isobel: »Wie war es denn gestern Abend?« Ein Diener bot ihnen eine Platte mit Eiern, Schinken und Räucherfisch an.
Der Herzog lächelte leicht. »Natürlich höchst langweilig!«
Sie musterte ihn erneut prüfend und fragte sich, was sein kleines, zufriedenes Grinsen wohl zu bedeuten hätte. Mit einem höflichen Dank entließ sie Woodward, dann wandte sie sich wieder an ihren Sohn. »Ich mache mir Sorgen um Elizabeth, Hadrian.«
Bei der Erwähnung seiner Verlobten verharrte der Herzog mitten in der Bewegung, sich die Gabel zum Mund zu führen. »Was ist denn mit ihr?«
»Wenn du mehr Zeit mit ihr verbrächtest, wüsstest du es vielleicht«, sagte Isobel leise.
Der Herzog legte sein Besteck neben den Teller. »Clayborough benötigt leider eine Aufsicht, das solltest du eigentlich am besten wissen.«
»Das weiß ich auch. Aber ihr seht euch immer seltener, und ich weiß, dass Elizabeth das nicht recht ist, ja, sie sogar schmerzt.«
Der Herzog starrte ergrimmt vor sich hin. »Dann habe ich nachlässig gehandelt«, sagte er schließlich, »denn ich würde ihr nie vorsätzlich wehtun. Doch ich dachte, sie wäre glücklich in London mit all den Festivitäten. Es kam mir gar nicht in den Sinn, dass sie mich vermissen könnte.«
»Natürlich ist sie glücklich in London, aber du bist ihr Verlobter. In wenigen Monaten soll eure Hochzeit stattfinden. Die Leute beginnen bereits darüber zu reden.«
»Bist du deshalb gekommen?«
»Nein. Ich habe sie vorgestern gesehen, Hadrian, und es war sehr deutlich, dass es ihr nicht gut geht, auch wenn sie versucht, so zu tun, als wäre alles in bester Ordnung.«
»Ist sie krank?«
»Ich fürchte, ja. Sie ist sehr blass und abgemagert. Schließlich fragte ich sie ganz direkt - ich musste mehrmals nachfragen, du weißt ja, wie Elizabeth ist, sie will auf keinen Fall jemandem zur Last fallen. Doch dann gab sie zu, ständig müde zu sein, und obgleich sie nicht weniger isst, hat sie so stark abgenommen, dass sie nun alle Kleider ändern lassen muss. Ich habe ihr dringend geraten, mit einem Arzt zu sprechen, aber sie lachte mich nur aus und meinte, es wäre einfach nur eine gewisse Müdigkeit, die sicher bald vorübergehen würde.«
»Nun ja, Mutter, es klingt nicht so, als stünde es wirklich schlimm um sie, denn dann würde sie doch einen Arzt aufsuchen. Ich werde mich in ein bis zwei Wochen nach London begeben, und wenn sie einer ärztlichen Behandlung bedarf, wird sie sie auch erhalten, dessen kannst du dir sicher sein.«
Isobel wusste, sie konnte sich auf ihn verlassen; er tat stets das, was er sich vorgenommen hatte. Auch wenn er sich wie die meisten Männer eine Mätresse hielt, wusste sie doch, dass er ein guter Ehemann sein würde. Elizabeth behandelte er stets höflich, liebevoll und ehrerbietig, und er tat nicht nur so, es entsprach einfach seinem Wesen. Er würde ihr nie etwas abschlagen, nicht einmal die Bitte, sie zu einem gesellschaftlichen Anlass zu begleiten, obwohl er diese Dinge hasste und stets sehr beschäftigt war. Er war nie grob zu ihr und belästigte sie in keiner Weise mit seinen Affären.
Isobel wusste, dass er Elizabeth mochte, denn sie war seine Cousine. Hadrian war zwölf gewesen, Elizabeth zwei, als die beiden einander versprochen wurden. Isobel wusste auch, dass ihr Sohn nicht in Liebe zu Elizabeth entbrannt war, sondern eher geschwisterliche Gefühle für sie empfand. Ebenso gut wusste sie aber auch, dass Elizabeth ihn aufrichtig liebte, und zwar nicht wie eine Schwester ihren Bruder. Doch das ging sie natürlich nichts an. Das Wichtigste war, dass Hadrian und Elizabeth sich gegenseitig gewogen waren und dass Hadrian sie stets ehren und achten würde. Isobel hatte genug von der Welt gesehen, um zu wissen, dass Freundschaft nicht die schlechteste Basis für eine Ehe war. Nur sehr wenigen Menschen war es vergönnt, die Liebe zu erleben, und noch viel seltener war sie in einer Ehe zu finden. Ihre Gedanken schweiften in eine andere Zeit, zu anderen Ufern, und kurz überkam sie eine gewisse Traurigkeit, die jedoch rasch wieder verging.
Der Herzog aß schweigend weiter und dachte über das nach, was ihm seine Mutter soeben mitgeteilt hatte. Er war nicht besonders
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