Rebellin der Leidenschaft
von drohendem Unheil.
10
Am nächsten Tag saßen Regina und Nicole zusammen im grünen Frühstückssalon bei Tee und Gebäck, als Nicole ein Briefchen überreicht wurde. Sie las die in einer zarten Handschrift abgefasste Einladung Elizabeths, sich doch am darauf folgenden Abend bei der Marquise von Stafford zu einem Lesekränzchen einzufinden, und erschrak zutiefst. Regina musterte ihre Schwester neugierig. »Worum geht es denn?«, fragte sie.
Nicole las die Einladung noch einmal und konnte noch immer kaum fassen, dass sie ihr galt. »Elizabeth Martindale hat mich zu ihrem Lesekränzchen eingeladen.«
Regina setzte sich neben die Schwester. »Du solltest die Einladung annehmen. Das ist sehr nett von Elizabeth.«
Nicole legte den Brief langsam auf den Tisch. Ihr Herz pochte heftig. »Warum lädt sie mich ein?«, fragte sie laut. »Sie kennt mich doch kaum!« Doch insgeheim musste sie an die Ironie der Situation denken: Die einzige Lady in London, die ihr die Freundschaft anbot, war ausgerechnet die Verlobte des Mannes, für den sie eine große Schwäche gehabt hatte.
»Weil sie sehr nett ist. Zweifellos weiß sie, dass du noch nicht lange in der Stadt bist, und versucht, dich in ihre Kreise einzuführen.«
»Wie gut kennst du sie denn?«
»Wir sind befreundet. Geh, Nicole!«, forderte Regina sie auf. »Du musst hier Freunde finden.«
Nicole verschluckte ihre Erwiderung. Sie konnte ihrer Schwester nicht erklären, warum sie sich Elizabeths Lesekränzchen nicht anschließen konnte, selbst wenn sie gewollt hätte.
Plötzlich fiel Reginas Blick auf die Wanduhr und sie stöhnte. »Oh je! Ich muss mich umziehen, Lord Hortense will heute Morgen eine Ausfahrt mit mir machen.« Sie eilte davon.
Nicht einmal die Tatsache, dass ihre Schwester nach wie vor in den elenden Lord Hortense verliebt war, konnte Nicole ab-lenken. Wieder starrte sie auf die Einladung. Gab es dafür einen Grund, den sie nicht kannte? Nein. Obwohl sie Elizabeth erst einmal getroffen hatte, war sie sich dessen sicher. Elizabeth war einfach nur freundlich.
Sie konnte nicht anders - sie zerknüllte den Brief.
Warum in aller Welt musste sie so nett sein? Warum konnte sie kein Ekel sein wie ihre Cousine? Warum in aller Welt musste sie sich ausgerechnet sie, Nicole, aussuchen? Sie brauchte ihre Freundschaft nicht, und sie wollte sie auch nicht.
Nicole biss sich heftig auf die Lippen. Es war traurig, aber wahr: Tief in ihrem Innersten hätte sie das freundliche Angebot liebend gern angenommen.
Aber das war selbstverständlich unmöglich. Sie konnten niemals Freundinnen werden. Nicht nach dem, was zwischen ihr und dem Herzog von Clayborough geschehen war.
Und auch, weil sie in den dunkelsten Stunden der Nacht noch immer von ihm träumte.
Rasch, bevor sie ihre Meinung ändern konnte, verfasste Nicole eine höfliche Ablehnung und ließ sie Elizabeth noch am selben Nachmittag zukommen. Das ist dann wohl das Ende dieser Geschichte, dachte sie, denn sicher würde Elizabeth keinen weiteren Versuch unternehmen, sich mit ihr zu befreunden.
Doch sie hatte sich getäuscht. Am folgenden Nachmittag kam Elizabeth persönlich vorbei.
»Bitte nehmen Sie doch Platz!«, sagte Nicole steif.
»Danke!« Elizabeth lächelte. Sie war etwas außer Atem, eine blasse blonde Erscheinung in einem maßgeschneiderten silberblauen Seidenkostüm. »Ich bedauere es aufrichtig, dass Sie uns heute Abend nicht Gesellschaft leisten können, Lady Shelton.«
»Leider bin ich bereits anderweitig verabredet«, log Nicole. Sie saß Elizabeth gegenüber auf einem Armstuhl, dessen glatte hölzerne Lehnen sie fest umklammerte.
»Hoffentlich glauben Sie nicht, dass Stacy auch dort sein wird. Sie ist nicht in unserer Gruppe, weil sie sich überhaupt nicht für Literatur interessiert.« Elizabeth blickte ihr fest in die Augen.
Es ärgerte Nicole, dass Elizabeth dachte, sie wolle sich der Gruppe aus Angst vor ihrer Cousine nicht anschließen. »Dass ich nicht kommen kann, hat nichts mit Stacy zu tun.«
»Gut.« Elizabeth lächelte. »Wie Hadrian erwähnte, hat sie gelegentlich die Neigung, etwas brüsk zu sein, und zwar nicht nur Ihnen gegenüber.«
Nicole erstarrte.
»Ha - der Herzog hat das gesagt?«
»Ach, ich habe mich neulich über ihr schlechtes Benehmen so aufgeregt, dass ich über gar nichts anderes reden konnte, als er mich am Abend zum Essen ausführen wollte. Er hielt es für richtig, dass ich Stacy gründlich getadelt habe.«
Nicole musste schlucken. Sie lief hochrot an.
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