Rebellin der Leidenschaft
mehr weichen wollten.
Es war nun bereits weit nach Mitternacht. Allein in seinem hohen Schlafzimmer - nur sein Barsoi leistete ihm Gesellschaft -verfolgten ihn Nicoles exotisches Bild und Elizabeths blasses, zartes Antlitz. Von heftigen Schuldgefühlen und einer ebenso heftigen Verwirrung gequält, musste er der Wahrheit ins Auge sehen.
Keine Frau hatte ihn je im Wachen wie im Schlafen so verfolgt wie Nicole Shelton. Keine Frau hatte jemals eine solch unbändige Lust in ihm erregt. Und schlimmer noch: Keine Frau hatte ihn jemals dazu gebracht, sich so wüst, so unehrenhaft zu benehmen. Er war wütend auf sich, über seine Reaktion auf sie und weil er sich so hatte gehen lassen.
Der Herzog stieg aus seinem Bett, streifte sich einen samtenen Paisley-Hausmantel über und schritt zum Kamin, wo sein Hund ihn mit einem freudigen Schwanzwedeln begrüßte. Er beugte sich hinab und tätschelte Lads großen Kopf. »Ich weiß nicht mehr, wer ich bin«, gestand er seinem treuen Gefährten.
Jede ihrer bisherigen Begegnungen spulte sich in seinem Kopf ab, und das nicht zum ersten, sondern zum millionsten Mal. Es war die reine Folter. Sein Körper war völlig zermartert.
War er seinem Vater wahrhaftig so ähnlich? War Francis von seinen jungen Geliebten so besessen gewesen, dass er nicht anders gekonnt hatte, als mit ihnen herumzuturteln und Isobel zu betrügen? Vielleicht war auch Francis von seinen Moralvorstellungen gepeinigt worden. Vielleicht waren sich Vater und Sohn viel ähnlicher, als alle dachten.
Wenn es einen guten Grund gab, ihr fern zu bleiben, dann diesen: Er hatte Angst, sich als getreues Abbild seines Vaters zu erweisen, eines Mannes, den er bis heute ohne das geringste Bedauern hasste. Es lag auf der Hand, dass in ihm eine dunkle Seite lauerte, eine, die er von Francis geerbt hatte und die er bändigen musste, koste es, was es wolle.
»Zum Teufel mit ihr«, sagte er zu seinem Hund und zum Feuer. Doch dann runzelte er die Stirn. »Nein, es ist nicht ihre Schuld, sondern meine.«
Nicole Shelton wollte wieder in die Gesellschaft aufgenommen werden und suchte einen Ehemann. Der Herzog wusste, dass er ihr solche berechtigten Interessen kaum übel nehmen konnte, aber er ärgerte sich trotzdem. Hatte sie wirklich gehofft, er wäre ungeachtet von Elizabeth der passende Freier? Hatte sie gehofft, er würde ihr zuliebe seine Verlobte verstoßen? Davon musste er wohl ausgehen.
Sein Puls hatte sich beunruhigend beschleunigt. Er begann, im Zimmer herumzuwandern; der Hund betrachtete ihn erwartungsvoll. Das Feuer glühte gerade aus, doch der Herzog achtete nicht auf die Kälte, die sich im Raum ausbreitete. Er hatte sich fest vorgenommen, seine Reaktionen nicht mehr zu hinterfragen. Absolut nicht mehr.
Die Devise der Clayboroughs - »Ehre über alles« - war nicht nur in seinem Wappen eingeprägt, sondern auch in seinem Herzen. Ungeachtet dessen, was er in Bezug auf seine bevorstehende Hochzeit fühlte, er würde und konnte seine Verlobung nicht lösen. Aber was wurde aus Nicole?
Er schloss die Augen. Sie wollte einen Ehemann. Alle Frauen, die er kannte, wollten einen Ehemann - sie wollte nichts Unbilliges. Sie hoffte, wieder in die Gesellschaft aufgenommen zu werden. Jetzt war das möglich, denn er hatte sie unter seinen Schutz gestellt. Er könnte ihn noch ausdehnen; er könnte auch noch weit über das hinaus handeln, was ihm sein Ehrgefühl gebot; er könnte ihr eine Wohltat erweisen und passende Aussichten fördern; er könnte ihr sogar einen Ehemann verschaffen.
Hadrian spürte, dass das genau das Richtige wäre. Schon allein die Vorstellung behagte ihm zwar überhaupt nicht, doch je klarer ihm wurde, wie gallenbitter ihm die Rolle des Kupplers schmeckte, desto entschlossener wurde der Herzog, ihr zu helfen, einen geeigneten Ehemann zu finden.
Den ganzen folgenden Tag musste er sich um dringende geschäftliche Angelegenheiten kümmern, so dass er sich in der Hoffnung, Elizabeth zu sehen, schon frühmorgens zum Stadthaus der Staffords begab. Und tatsächlich war sie wach und freute sich schon auf ihn, wie ihr Vater, der Marquis von Stafford, ihm sogleich mitteilte. Hadrian erkannte schon beim ersten Blick auf ihn, dass sich die Gesundheit seiner Tochter in den letzten Tagen nicht gebessert hatte. Der Marquis hatte rote Augen, als hätte er schlecht geschlafen, und seine Züge waren eingefallen. In den wenigen Wochen, seit Elizabeth sichtlich krank geworden war, war er um zwanzig Jahre gealtert. Hadrian
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