Rebellin der Leidenschaft
entsprechend schnell anpassen müssen. Nun war sie über fünfzig, und sie war nicht nur eine Herzoginwitwe, sondern auch eine gebildete, erfahrene und intelligente Frau, die auch in geschäftlichen Dingen bewandert war. Nur wenige Frauen hatten erlebt, was sie durchgemacht hatte, und Isobel wusste besser als die meisten, dass im Leben immer wieder Dinge geschahen, mit denen man überhaupt nicht gerechnet hatte.
Hadrian hatte sich in Nicole Shelton verliebt, das war nur allzu deutlich. Und ebenso klar war, dass die arme junge Frau unsterblich in ihren Sohn verliebt war. Sie gaben wirklich ein ausnehmend schönes Paar ab, ganz abgesehen von der ihnen beiden eigenen äußeren Schönheit. Isobel war traurig.
Verbotene Liebe war ihr nicht fremd. Und sie wusste auch, wie schrecklich der damit verbundene Schmerz sein konnte. Auch wenn er allmählich verebbte, so starb doch nie die Trauer über das, was hätte sein können. Ihr zumindest war es so ergangen. Jetzt tat ihr das Herz wegen ihres Sohnes weh. Ach, wenn doch nur ihr Sohn Nicole Shelton nicht liebte! Wenn ihm doch nur der Schmerz erspart bliebe, der ihm sicher war, falls er sie liebte!
Und dann die arme Elizabeth! Sie wäre die Dritte, die darunter zu leiden hätte. Isobel wusste, wie sehr Elizabeth Hadrian liebte. Hadrian würde sie nie fallen lassen, dessen war sich Isobel sicher, dafür war er viel zu ehrenhaft. So, wie sie zu ehrenhaft gewesen war, Francis davonzulaufen. Wie die Mutter, so der Sohn. Schrecklich!
Isobel sank auf die Chaiselongue. Am liebsten hätte sie den Tränen freien Lauf gelassen. Ihre Nerven lagen blank, als wäre sie noch einmal in ihren Zwanzigern, als wäre sie jene junge Frau, die sich zum ersten Mal verliebt hatte und die von ihren verbotenen Gefühlen für einen Mann, der nicht ihr Ehemann war, gefoltert wurde. Sein Bild stieg vor ihr auf, als wären sie erst gestern zusammen gewesen: stark, kraftvoll, braunes, von sonnengebleichten goldenen Strähnen durchzogenes Haar, ein wettergegerbtes und dennoch faszinierend schönes Gesicht. Ihr Herz verkrampfte sich. Sie merkte, dass sie sich getäuscht hatte - der Schmerz verging nie.
Eine solche unter einem schlechten Stern stehende Liebe wünschte sie niemandem, am allerwenigsten ihrem Sohn oder Elizabeth, aber auch nicht der armen Nicole Shelton, die nicht verdient hatte, wie das Leben ihr bislang mitgespielt hatte.
Isobel wusste sehr gut, dass Liebe keine Grenzen kannte. Liebe unterwarf sich weder der Vernunft noch der Logik und widersetzte sich jeglichen Versuchen, ihr Grenzen aufzuerlegen. Hadrian war stark, edel und ehrenhaft, aber er war nur ein Mann. Nie würde er Nicole Shelton mit Vorsatz entehren, aber wie lange würde es noch dauern, bis das Unvermeidliche geschah? Isobel dachte darüber nach, wie sie die beiden heute erlebt hatte, welche Spannung zwischen ihnen bestanden hatte. Hadrian würde einen solch unüberlegten Akt viel leichter überwinden als Nicole. Eigentlich hätte sich Isobel keine Sorgen um die junge Frau machen müssen, aber sie tat es. Es war wirklich nicht fair. Aber wann war das Leben schon fair?
Sie schloss die Augen und dachte über Hadrian nach - nicht über ihren Sohn, sondern seinen Namensgeber. Nicht zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal wünschte sie sich verzweifelt, endlich den Mut aufzubringen und ihrem Sohn die Wahrheit zu sagen. Aber an diesem Punkt war sie, die sonst nie feige war, zu feige. Sie fürchtete sich davor, seinen Schock miterleben zu müssen, oder, schlimmer noch, seinen möglichen Abscheu ertragen zu müssen. Sie hatte Angst, seine Achtung und seine Liebe zu verlieren.
Nein, sie würde ihm nie die Wahrheit sagen können, auch wenn er alles Recht der Welt hatte, sie zu erfahren. Dass ihr Sohn vielleicht aus ihren Fehlern lernen könnte, wenn er alles wüsste, kam ihr dabei gar nicht in den Sinn; denn selbst wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte, das Rad der Zeit dreißig Jahre zurückzudrehen, sie hätte nichts anders gemacht.
*
Der Herzog von Clayborough fand keinen Schlaf.
Er hatte heute schon zwei Mal an der Stadtresidenz der Staffords geläutet, und auch gestern nach seiner Rückkehr nach London hatte er gleich versucht, Elizabeth zu sprechen. Aber sie hatte jedes Mal geschlafen und er hatte sie nicht sehen können; selbst wenn er gewollt hätte, er hätte sie nicht aufwecken können, denn sie war völlig benommen von dem Laudanum, das sie gegen die Schmerzen nahm, die sie plötzlich befallen hatten und nicht
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