Rebellin der Leidenschaft
Marquis so rote Augen hatte: nicht aus Schlafmangel, sondern weil er geweint hatte.
»Du musst jetzt schlafen!«, sagte er, erschreckt von ihrer zunehmenden Blässe. »Ich werde heute Abend noch einmal vorbeikommen. Aber wenn du dann schläfst, schaue ich nur ganz kurz nach dir, ich werde dich nicht aufwecken.«
Ihre Augen waren zugefallen, aber sie klammerte sich noch immer erstaunlich fest an ihn. Der Herzog löste sich sanft und stand auf. Er bebte und hatte nur noch einen Gedanken: Er musste sofort einen Arzt holen. Doch auf dem Weg zur Tür hielt er noch einmal inne.
Er kehrte zu ihr zurück und beugte sich über sie. Sie schien zu schlafen. Er berührte ihre Stirn, die kühl und trocken wirkte. »Elizabeth«, murmelte er, »du bedeutest mir sehr viel.« Kurz streiften seine Lippen die ihren.
Bei seinem letzten Blick auf sie sah er, dass sie lächelte.
17
Es war Regina, die die schlechten Nachrichten überbrachte. Nicole war am Sonntagabend mit ihren Eltern und der Schwester zum Tavistock Square zurückgekehrt. Nervlich völlig erschöpft, wie sie war, hatte sie es kaum erwarten können, aus Maddington abzureisen. Hadrian hatte sie seit der Fuchsjagd, ja schon seit dem peinlichen Zwischenfall im Foyer mit der Herzoginwitwe und ihren Eltern, als sie zerzaust und klatschnass ins Herrenhaus gekommen waren, nicht mehr zu Gesicht bekommen. Nachdem ihre Mutter sie nach oben geschickt hatte, hatte sie nicht recht gewusst, was als Nächstes passieren würde. Eigentlich hatte sie nicht erwartet, dass Hadrian Maddington sofort verlassen würde, aber genau das hatte er getan. Gleich nachdem sie sich umgezogen hatte, hatte sich im Hof einiges getan. Von einer Vorahnung erfüllt war sie ans Fenster geeilt und hatte gerade noch gesehen, wie er in die schwarze Clayborough-Kutsche stieg. Eine Eskorte aus einem Dutzend livrierter Reiter stand schon bereit, paarweise aufgereiht wie Soldaten. Kurz bevor er endgültig in der Kutsche verschwand, hatte der Herzog noch einen Blick zurückgeworfen, als spürte er, dass sie ihn beobachtete. Aber er sah sie nicht, und wenige Augenblicke später waren er und sein prachtvolles Gefolge verschwunden.
Zurück in London hatte Nicole ihr Bestes versucht, nicht mehr an den Herzog und ihre letzte Begegnung zu denken, aber es wollte ihr einfach nicht gelingen. Ihre Wut war inzwischen weitgehend verflogen, jetzt fühlte sie sich hauptsächlich gedemütigt. Sein Verhalten sprach für sich - ganz offenkundig sah er in ihr keine Lady. Jedes Mal, wenn sie sich trafen, landete sie in seinen Armen. Von Anfang an hatte er keine ehrbaren Absichten verfolgt, aber warum auch? Wenn sie sich nichts vormachte, musste sie zugeben, dass er gar nicht so falsch lag. Eine Lady ging nicht ohne Begleitung und in einem skandalösen Zigeunerkostüm auf einen Maskenball, eine Lady ließ ihren Verlobten nicht in letzter Minute sitzen, eine Lady ritt nicht im Herrensattel und in Reithosen durch die Gegend. Und ganz sicher ließ sich eine Lady von keinem Mann, nicht einmal ihrem Ehemann, so berühren, wie sie sich von Hadrian hatte berühren lassen. Wäre sie eine richtige Lady wie Elizabeth gewesen, hätte er sich niemals so skandalös verhalten.
Außerdem schämte sich Nicole, dass sie Elizabeth während der Jagd völlig vergessen hatte. Wenn sie mit Hadrian zusammen war - wenn sie doch wenigstens aufhören könnte, ihn in Gedanken bei seinem Vornamen zu nennen! -, wenn sie mit dem Herzog zusammen war, dann vergaß sie einfach alles. Hätte Elizabeth nicht wenigstens ein boshafter, schrecklicher Mensch sein können, so wie ihre Cousine Stacy? Dann wäre es Nicole leichter gefallen, nicht zu bereuen, was sie mit Hadrian getan hatte. Aber Elizabeth war nicht wie Stacy, Elizabeth war liebenswürdig und freundlich, sie war einer der wenigen Menschen in der ganzen Stadt, die sich wirklich bemüht hatten, Nicole das Gefühl zu geben, akzeptiert zu sein. Sie wollte Elizabeth nicht hintergehen, und dass sie das getan hatte, bereute sie ebenso sehr wie die Tatsache, dass sie es wieder einmal nicht geschafft hatte, sich wie eine richtige Lady zu benehmen.
Und dann kam Regina mit Neuigkeiten, die Nicole erschütterten.
»Was ist denn los?«, fragte sie ihre Schwester, als Regina atemlos in ihr Zimmer gerannt kam.
»Es geht um Elizabeth Martindale!«, keuchte Regina. »In den letzten Tagen hat sich ihr Zustand verschlimmert! Sie ist so krank, dass sie überhaupt nicht mehr aufstehen kann, und die Ärzte sagen, dass sie
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