Rebellin der Leidenschaft
süße, freundliche, hübsche Elizabeth? Elizabeth, die jeder gern hatte? Elizabeth, die in keinem Menschen je etwas Schlechtes sah? Keiner verdiente es so wenig zu sterben wie sie - das war die schlimmste Ungerechtigkeit, die sich Nicole vorstellen konnte. Sobald sie es erfahren hatte, zog sie sich verstört in ihr Schlafzimmer zurück.
Vielleicht ließen sich damit ja Hadrians gestriger Missmut und seine Grobheit erklären. Elizabeth hatte im Sterben gelegen, das hatte der Herzog wahrscheinlich gewusst. Von einem Mann, der den Tod eines ihm nahe stehenden Menschen - oder eines Menschen, den er liebte - vor Augen sah, konnte man schlechterdings nicht erwarten, höflich zu sein. Zitternd sank Nicole auf ihr Bett. Er musste Elizabeth sehr geliebt haben. Sie war sich nicht sicher, wie sehr, aber seine gestrige Verzweiflung zeigte, wie tief diese Liebe gegangen war. Nicole war erfüllt von Mitgefühl, als sie sich vorstellte, wie sehr er nun wohl litt.
Am Abend wurde Elizabeth aufgebahrt. Drei Tage lang hatten die, die sie gekannt hatten, die Gelegenheit, ihr die letzte Ehre zu erweisen. Nicole begab sich mit ihrer Familie dorthin. Edward war aus Cambridge herbeigeeilt, um sein Beileid zu bekunden. Nur ihr Bruder Chad, der in Dragmore weilte, kam nicht mit. In der riesigen Residenz der Staffords war es gespenstisch still, obwohl sich Hunderte von Trauergästen eingefunden hatten. Alle flanierten an dem stattlichen Mahagonisarg vorbei, in dem Elizabeth in ihrem schönsten Gewand aufgebahrt lag. Der Marquis, der zuerst seine Frau und jetzt sein einziges Kind verloren hatte, war untröstlich. Wenn die Trauernden das Wort an ihn richteten, nickte er nur; er war nicht in der Lage, etwas zu sagen.
Elizabeth wirkte im Tod sehr heiter. Sie sah sogar hübsch aus, und jemand hatte ein Lächeln auf ihre Lippen gezaubert - aber vielleicht war sie ja so gestorben. Nicole blieb neben dem Sarg stehen, Regina an ihrer Seite. Ein heftiges Bedürfnis zu weinen überkam sie und sie biss sich auf die Lippen. Wie konnte ein so netter, junger Mensch nur sterben, bevor sein Leben überhaupt richtig begonnen hatte? Der Tod war irgendwie erträglich, wenn der Verstorbene alt geworden war und ein erfülltes Leben geführt hatte oder kein besonders angenehmer Mensch gewesen war. Aber in diesem Fall kam es ihr vor wie ein Frevel.
»Ich kann sie gar nicht ansehen«, flüsterte Regina, die Stimme brüchig von ungeweinten Tränen. »Ich kann es einfach nicht.« Sie eilte davon.
Nicole holte tief Luft und sprach ein kleines Gebet. Ob Elizabeth es hören konnte? Sie dankte ihr für ihre Freundlichkeit und eigentlich wollte sie sich auch bei ihr entschuldigen, dass sie mit Hadrian die größte Nähe geteilt hatte. Aber das gelang ihr nicht, so sehr sie es auch wollte. Sie hoffte, Elizabeth würde es nie erfahren.
Sie wischte sich die Augen trocken und ging weiter. Plötzlich fiel ihr Blick auf die Herzoginwitwe von Clayborough.
Zunächst erschrak Nicole, denn sie erinnerte sich noch gut an den Blick, mit dem diese Frau sie im Foyer in Maddington bedacht hatte - als wüsste sie ganz genau, was zwischen ihr und Hadrian vorgefallen war. Abgesehen von ihrem Sohn war die Herzoginwitwe der letzte Mensch, den Nicole jetzt zu sehen wünschte. Isobel brachte aber trotz ihrer verweinten Augen ein Lächeln zustande.
Jetzt blieb Nicole nichts anderes übrig, als zu ihr zu gehen. »Es tut mir aufrichtig Leid«, flüsterte sie.
»So geht es uns allen«, erwiderte Isobel leise, und aus ihren Augen sickerten ein paar Tränen. »Danke, dass Sie gekommen sind.« Ihre Stimme versagte.
Nicole konnte nur stumm nicken, sonst hätte auch sie zu weinen begonnen. Sie machte sich auf die Suche nach Regina. Ihre Schwester wartete vor dem Salon, in dem Elizabeth aufgebahrt war. Die beiden tauschten erschöpfte und leidvolle Blicke. »Vater und Mutter sprechen mit dem Marquis. In etwa einer halben Stunde können wir gehen.«
Nicole nickte. Am liebsten wäre sie sofort gegangen, doch das wäre zu unhöflich gewesen. Sie blieben im Flur stehen, um auf die Eltern zu warten, denn sie verspürten nicht den Wunsch, in den größeren Salon zu gehen, wo für die Gäste ein Büfett vorbereitet worden war. Unter den vielen Leuten, die auf dem Weg in diesen Salon waren, entdeckte Nicole schließlich Martha und ihren Mann. Martha entschuldigte sich bei der Gruppe, mit der sie gekommen war, und ging zu den beiden hinüber.
»Es ist einfach zu schrecklich«, flüsterte Martha,
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