Rebellin der Leidenschaft
nachdem sie sich mit einer stillen Umarmung begrüßt hatten. »Ich bin zutiefst erschüttert, ich kann es einfach nicht glauben.« Ihre Augen wurden feucht.
»So geht es uns allen«, erwiderte Nicole.
»Es ist so unfair!«, flüsterte Regina.
Die beiden Älteren blickten sie strafend an, dass sie es wagte, einen Gedanken zu äußern, den sie alle hatten. Stille senkte sich auf sie. Regina hatte ohnehin keine Antwort erwartet. Schließlich sagte Martha: »Der Herzog ist auch da.«
Nicole blieb stumm, aber ihr Herz verkrampfte sich vor Kummer. Auch wenn sie jetzt besser verstehen konnte, warum er gestern so ein Scheusal gewesen war, linderte es doch nicht den Schmerz, den er ihr zugefügt hatte.
»Hast du ihn gesehen?«
»Nein.«
»Er sieht schrecklich aus. Ich habe versucht, mit ihm zu sprechen, aber es war, als hätte ich an eine Wand geredet. Ich glaube nicht, dass er auch nur ein Wort von dem, was ich gesagt habe, mitgekriegt hat. Aber das kann man ja auch verstehen.«
Wieder überfiel Nicole der Drang zu weinen. Hadrian musste Elizabeth wirklich sehr geliebt haben, dass er gestern so völlig außer sich geraten und heute so gramgebeugt war. »Er hat sie sehr geliebt.«
Martha starrte sie an. »Er hat sie ihr Leben lang gekannt. Das ist eine lange Zeit. Und abgesehen davon, dass sie verlobt waren, war sie ja auch seine Cousine.«
»Es ist eine lange Zeit, um jemanden zu lieben«, flüsterte Nicole bebend. Der Zeitpunkt war zwar absolut unpassend, doch plötzlich überfiel sie diese Erkenntnis mit mörderischer Gewalt: Er hatte Elizabeth wahrhaft geliebt und sie, Nicole, nie. Er hatte sie begehrt, aber das hatte mit Liebe nichts zu tun.
»Er braucht ein wenig Zeit«, sagte Martha und berührte Nicoles Hand sanft.
Falls die Freundin ihr damit noch etwas anderes zu verstehen geben wollte, dann wollte Nicole nichts davon wissen. Zum Glück konnte sie bald darauf mit dem Rest ihrer Familie gehen, ohne den Herzog gesehen zu haben. In der Nacht weinte sie -um Elizabeth, um Hadrian, und vielleicht auch ein kleines bisschen um sich selbst.
*
Der Tag der Beerdigung schien zum Trauern wie geschaffen. Ein heftiger Nordwind jagte dunkelgraue Wolkenfetzen über den Himmel und es sah aus, als wollte es jeden Moment zu regnen anfangen. Die meisten der Eichen, die die Gruft der Staffords säumten, hatten ihr Laub schon abgeworfen und ihre knorrigen nackten Äste wirkten öde und finster. An der Trauerfeier in London hatten gewiss an die tausend Menschen teilgenommen, doch hier in Essex waren nur noch etwa hundert zu Elizabeths Grab gekommen.
Nicole stand zwischen ihrer Mutter und Regina, umringt von ihrer Familie. Auch Chad war nun gekommen. Sie standen zwar nicht in der vordersten Reihe, aber Nicole war größer als die meisten Menschen um sie herum, so dass sie gut sehen konnte, wie der Sarg in die dunkle Gruft unter der Familienkapelle gesenkt wurde. Und sie konnte auch Hadrian sehen.
In einen schwarzen Anzug gekleidet und den Kopf gesenkt stand er auf der gegenüberliegenden Seite des Grabes. Einen Arm hatte er um seine Mutter gelegt, die vergeblich versuchte, die Tränen zurückzudrängen. Neben ihr stand der Marquis von Stafford, der ebenfalls weinte. Der Anblick eines erwachsenen Mannes, der nicht imstande war, die Fassung zu wahren, war erschütternd.
Neben ihnen stand das Oberhaupt der Familie, der Graf von Northumberland, mit seiner Frau und seinen nächsten Angehörigen. Roger de Warenne war Staffords Schwager. Er war ein großer, schlanker Mann Mitte siebzig mit einem auffallenden weißen Haarschopf. Er war begleitet von seiner zweiten Gattin, die etwa in Isobels Alter sein musste, seinen drei Söhnen - darunter auch seinem Erben, dem Vicomte von Barretwood - und deren Ehefrauen. De Warenne hatte ein Dutzend Enkel, die ebenfalls alle hier waren; der Jüngste war wohl knapp fünf und bemühte sich nach Kräften um eine feierliche Miene.
Hinter den de Warennes standen deren Verwandte, die Martindales, die Hurts und die Worthingtons. Natürlich war auch Stacy Worthington, Elizabeths Cousine, zugegen, die ostentativ in ihr Taschentuch heulte.
Nicole konnte nicht anders, sie musste Hadrian beobachten, als der Sarg zur Gruft getragen wurde. Bei seinem Anblick verkrampfte sich ihr Herz: Er wirkte verhärmt und bleich und ließ erschöpft die Schultern hängen. Er stand zu weit weg, als dass sie sein Gesicht klar erkennen konnte, aber selbst aus dieser Entfernung spürte sie, wie sehr er litt. Und sie litt
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