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Rebellin unter Feen

Titel: Rebellin unter Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. J. Anderson
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wohl.
     
    Die Schrift war im Verlauf des Briefes immer krakeliger geworden und endete mit einem kaum noch leserlichen Gekritzel. Doch Klinge konnte die Unterschrift entziffern: Bryony.
    »Meine Eimutter«, flüsterte sie verwirrt. »Sie hat sich das Leben genommen, damit ich lebe. Und ich dachte die ganze Zeit …«
    »Dass sie eine dumme, alte Frau war, die den Verstand verloren hat und sich versehentlich nach draußen in die Kälte verirrte?«, fragte Dorna. »Auch ich dachte das, als Winka sagte, Bryony werde vermisst. Das Wetter war in jener Nacht auch wirklich furchtbar. Ich hatte die Suche schon fast aufgegeben, da stolperte ich über das Ei mit dir. Und als ich es aufhob, fand ich darunter diesen Brief.«
    »Damit hat alles angefangen«, fuhr Winka an Dornas Stelle fort. »Wir begannen uns zu fragen, was denn die Katastrophen verursacht hat, unter denen wir leiden. Ich war ja dabei, als Dorna mit deinem Ei zurückkehrte, und sah auch den Brief. Und …«
    Königin Amaryllis hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um uns zu helfen, wiederholte Klinge in Gedanken.
    »So war das also«, sagte sie leise.
     
    In den folgenden Wochen schneite es immer wieder. Zwischendurch schmolz der Schnee, aber die Kälte blieb. Tot lag die Erde unter einem Leichentuch aus verwelktem Gras. Immer weniger Tiere waren unterwegs, und die Jagd wurde ein mühsames Geschäft. Eines späten Vormittags hockte Klinge am Fuß eines Vogelhäuschens der Menschen, blies sich auf die kalten Finger und hoffte, dass ein Spatz vorbeikommen würde. Da hörte sie das tiefe Brummen eines näherkommenden Autos.
    Zuerst achtete sie nicht weiter darauf. Zwischen ihr und der Straße stand eine dicke Hecke, außerdem fuhren die metallenen Fahrzeuge immer so schnell, dass die Fahrer sie sowieso nicht bemerkten. Doch als das Auto vor dem Haus bremste und in die Auffahrt einbog, merkte sie, dass es sich diesmal um eine gefährliche Ausnahme handelte.
    Sie zog sich die Kapuze ihrer Jacke über den Kopf, duckte sich, legte die Flügel flach am Rücken an und versuchte, möglichst so auszusehen wie ein Vogel. Das Auto kam wenige Krähenlängen von ihr entfernt zum Stehen. Die Türen gingen auf und Klinge sah zu ihrem Erstaunen, dass auf der Beifahrerseite ein Fremder ausstieg und hinter dem Steuer Paul saß.
    »Gut gefahren«, rief der Mann. Er ging um das Auto herum und holte Pauls Rollstuhl vom Rücksitz. »Noch ein wenig Übung mit der Handschaltung und du bist reif für die Autobahn.«
    Klinge hielt die Luft an. Seit Wochen brütete sie über der Karte, die Dorna ihr gegeben hatte, und überlegte, wie um Himmels willen sie von der Eiche zu dem Ort gelangen sollte, an dem Heides Tagebuch versteckt war. Aber wenn Paul Auto fahren konnte …
    Ich muss mit ihm sprechen, dachte sie. Sie sah zu, wie Paul sich in den Rollstuhl umsetzte und auf das Haus zurollte. Sie sah ihn zum ersten Mal nach langer Zeit wieder. Am liebsten wäre siesofort zu ihm geflogen, doch der Fremde stand im Weg, und sie wagte nicht, sich zu rühren.
    »Ab jetzt komme ich selber zurecht, danke«, rief Paul dem Mann zu. »Dann bis nächste Woche.«
    »Alles klar«, antwortete der Mann. Er stieg in das Auto ein und fuhr weg. Sobald er verschwunden war, sprang Klinge auf und flog Paul nach. Vielleicht konnte sie ihn einholen, bevor er im Haus verschwand.
    »Warte!«, rief sie, aber Paul hörte sie nicht. Mit einem energischen Schwung rollte er über die Schwelle, und Klinge musste hilflos zusehen, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
     
    Frierend, vom Wind durchgeblasen und mit leeren Händen kehrte sie zur Eiche zurück. Sie wickelte sich eine Decke aus Kaninchenwolle um die Schultern und setzte sich zitternd auf das Sofa. Winka drückte ihr eine Tasse heißen Zichorienkaffee in die Hand.
    »Ich weiß nicht, was ich tun soll«, murmelte Klinge.
    »Ich würde mir keine Sorgen machen«, sagte Winka abwesend und kitzelte Linde mit einer Haarsträhne, bis das Baby zu glucksen anfing. »Noch sind wir nicht am Verhungern, und du kannst ja morgen wieder auf die Jagd gehen.«
    Klinge wollte die Sache schon richtigstellen, ließ das Missverständnis dann aber doch auf sich beruhen. Wenn Winka nicht wusste, dass Klinge wieder mit Paul Kontakt aufnehmen wollte, konnte ihr auch niemand Vorwürfe machen, wenn Klinge erwischt wurde.
    Andererseits war es eigentlich unfair, Winka nicht in ihre Pläne einzuweihen.
    Klinge nippte an der Tasse, bis der heiße, bittere Kaffee sie wieder belebt hatte,

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