Rebellion Der Engel
zurück, sie einfach so zu berühren. Vorhin hatte Akashiel sie um mich gebreitet, doch womöglich mochte er es nicht, wenn jemand seine Flügel anfasste. Woher sollte ich wissen, ob ich damit nicht seine Intimsphäre verletzte?
»Du kannst sie ruhig anfassen.« Als ich noch immerzögerte, nahm er meine Hand und legte sie vorsichtig auf einen Flügel. Er fühlte sich weich und zugleich widerstandsfähig an. »Unter dem Gefieder sind Haut, Knochen, Muskeln und Sehnen.«
»Wie bei einem Hühnchen?«
Für einen Moment entgleisten seine Gesichtszüge, dann brach er in Gelächter aus. »Ja, wie bei einem Hühnchen.« Er hatte sichtlich Mühe, seine Fassung zurückzugewinnen. »Nur, dass du mich nicht in einen Grill bekommen wirst.«
»Und du hast behauptet, keine Flügel zu haben.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nur gesagt, dass sie für den täglichen Gebrauch zu unpraktisch sind. Sie sind immer da, gehören zu mir und sind ein Teil meines Wesens, allerdings verstehen wir uns darauf, sie zu dematerialisieren, solange wir ihrer nicht bedürfen.«
»Du stellst dir also vor, dass sie nicht da sind, und schwupp!, sind sie verschwunden, bis du sie wieder brauchst?«
»So in etwa.« Er strich sich über das Kinn, ein sinnloser Versuch, sein Schmunzeln zu verstecken.
»Das ist alles so verrückt.« Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen die Brüstung und starrte auf den Boden zu meinen Füßen. Das Hochgefühl, das der Flug in mir geweckt hatte, war der Ernüchterung gewichen. Als ich aufsah, bemerkte ich, dass er mich aufmerksam musterte. »Denkst du, ich werde mich je daran gewöhnen, kein richtiger Mensch mehr zu sein?«
Akashiel kam näher. »Du weißt gerade mal seit ein paar Stunden von deiner Herkunft und du schlägst dich wirklich tapfer. Ich denke, du wirst schnell lernen, damit zu leben.« Seine Schwingen wurden durchscheinend, lösten sich langsam vor meinen Augen auf und waren einen Atemzug später zur Gänze verschwunden. Er legte mir einen Arm um die Schulter und führte mich nach drinnen. »Leg dich hin.«Mit sanftem Druck schob er mich zum Bett und beobachtete, wie ich unter die Decke schlüpfte, ehe er die Balkontür schloss und Anstalten machte, das Schlafzimmer zu verlassen.
»Ich weiß nicht, ob ich schlafen kann.«
Akashiel blieb auf der Schwelle stehen und drehte sich noch einmal zu mir herum. »Soll ich bei dir bleiben?«
Mein Herz machte einen Satz. »Würdest du?«
Er schloss die Tür und kam zum Bett. Ich rückte ein Stück zur Seite und hob die Decke, um ihn darunter zu lassen.
»Du bist immer noch ganz kalt«, sagte er, als er neben mir unter die Decke schlüpfte.
Auf einmal war ich mir seiner Nähe so bewusst, dass es mir schwerfiel, einen ganzen Satz herauszubringen. »Nachtluft«, war alles, was mir über die Lippen kam, dann zog er mich in seine Arme. Sein Körper strahlte eine tröstliche Wärme ab und überall dort, wo er mich berührte, begann meine Haut zu kribbeln. Wie es wohl wäre, einen Engel – nein: diesen Engel – zu küssen? Unter anderen Umständen hätte ich womöglich einen Vorstoß gewagt, doch hier befand ich mich auf unbekanntem Terrain. Ich wusste nicht einmal, ob Engel überhaupt so etwas wie ein Liebesleben hatten. Womöglich wäre es ein schrecklicher Affront, ihm auf diese Weise nahe zu kommen – andererseits war ich mir ziemlich sicher, tiefere Regionen seines Körpers an meinem zu spüren, die sich ausgesprochen männlich anfühlten und durchaus auf meine Nähe reagierten.
»Wie ist das mit euch Engeln?« Auch wenn es mir grauenvoll peinlich war und ich nicht den Mut hatte, ihm dabei in die Augen zu sehen, musste ich die Frage einfach loswerden, wobei mir die Engel im Allgemeinen herzlich egal waren – mich interessierte nur einer. »Kennt ihr Beziehungen, wie wir Menschen sie führen?«
»Wir sind keine geschlechtsneutralen Wesen, wie wir von den Menschen oft dargestellt werden.«
Das war mir nicht entgangen.
»Durch unsere Unsterblichkeit besteht keine Notwendigkeit zur Reproduktion«, fuhr er fort und klang dabei mehr wie ein Sachbuch als wie ein fühlendes Wesen. »Sex war ursprünglich den Menschen vorbehalten, die Angehörigen meines Volkes sehen darin etwas Abstoßendes, Unreines.«
»Oh«, entfuhr es mir, was ihm ein Grinsen entlockte.
»Wir Schutzengel jedoch sind den Menschen näher als unserem eigenen Volk. Im Laufe der Jahrhunderte haben wir gelernt, dass es dabei um mehr als bloße Fortpflanzung geht.« Er suchte meinen Blick und
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