Rebellion Der Engel
nicht sofort frische Luft bekam.
Ich schlug die Decke zurück, stand auf und ging auf den Balkon hinaus. Eine kühle Brise schlug mir ins Gesicht und ließ meine Lebensgeister zurückkehren. Gleichzeitig weckte die kalte Luft jedoch unangenehme Erinnerungen an die Höhle in mir. Trotzdem wollte ich nicht ins Zimmer zurück,um mir eine Decke zu holen. Ich brauchte die Kälte, um den Kopf freizubekommen.
Die Aussicht von hier oben war wirklich atemberaubend. Ich trat an die Brüstung und blickte nach unten. Ein weiter Weg. Weit genug, um die Schwingen auszubreiten und sich vom Wind wieder nach oben treiben zu lassen? Ich hatte nicht einmal Flügel. Oder doch? Vorsichtig ließ ich meine Schulterblätter kreisen. Ich spürte den Muskeln und Sehnen nach, die sich unter den Bewegungen mal zusammenzogen, mal dehnten und suchte nach einem Hinweis auf etwas, das vorher noch nicht dort gewesen war. Etwas Großes wie ein Paar mächtiger weißer Schwingen.
Aber da war nichts.
Nicht mal ein Jucken.
Natürlich nicht.
Ich schaffte es gerade einmal, eine Fernbedienung eineinhalb Meter durch die Luft schweben zu lassen, und das nur unter großer Mühe und Anstrengung. Nicht auszudenken, was es mir abverlangen würde, zu fliegen.
Manchmal zeigen sich diese speziellen Fähigkeiten erst in einer Situation, in der sie wirklich gebraucht werden. Ich konnte mich wohl kaum einfach vom Dach stürzen, in der Hoffnung, dass mir rechtzeitig Flügel wachsen und mich davor bewahren würden, auf dem Straßenpflaster zerschmettert zu werden.
»Kannst du nicht schlafen?«
Akashiels Stimme ließ mich herumfahren. Lediglich mit einer seidenen Pyjamahose bekleidet, stand er in der Schiebetür und musterte mich. Sein halblanges Haar war vom Schlaf zerzaust und erweckte in mir das Verlangen, es mit den Fingern glatt zu streichen. Ich ballte meine Hände zu Fäusten und presste sie fest an den Körper, um gar nicht erst in Versuchung zu kommen.
»Nach einer Stunde war Schluss«, sagte ich frustriert.
»Und seitdem stehst du halb nackt hier draußen und frierst?«
Halb nackt war wohl nicht ganz zutreffend. Barfuß ja, aber ich trug noch immer meine Jeans und das Trägertop. »Erst habe ich versucht, die Fernbedienung fliegen zu lassen. Die hat sich aber nur eingeschränkt kooperativ gezeigt.«
»Und jetzt?« Er kam langsam näher, so vorsichtig, als fürchte er, mich zu verschrecken, wenn er sich zu schnell bewegte. Wofür hielt er mich? Ein Reh im Scheinwerferlicht? Sein Blick glitt an mir vorbei zur Brüstung in meinem Rücken. »Du versuchst doch nichts Dummes?«
»Du meinst etwas wie fliegen?«
»Zum Beispiel.«
»Vielleicht sollte ich einfach springen, um herauszufinden, ob ich es kann.«
»Du kannst es nicht!«, rief er mit einem Anflug von Panik in der Stimme.
Er glaubte doch nicht ernsthaft, dass ich mich in die Tiefe stürzen würde? Andererseits war er jetzt hier. Er könnte mich retten, falls etwas schiefging. Unschlüssig schob ich mich ein Stück näher an die Brüstung heran und spähte nach unten. Verdammt hoch. »Hast du nicht gesagt, manche Fähigkeiten würden sich erst zeigen, wenn sie gebraucht werden?«
»Nephilim haben keine Flügel!«
»Oh.«
Auch wenn mir der Gedanke ans Fliegen zu einem gewissen Grad Angst einjagte, enttäuschte es mich, dass ich dazu gar nicht imstande sein sollte.
»Was ist mit beamen?«, wollte ich wissen.
»Versetzen.«
»Okay. Was ist mit Versetzen?«
»Manche können es.«
Ich vermutlich nicht.
»Kann ich denn gar nichts von den coolen Sachen?«
»Gegenstände fliegen zu lassen, ist uncool?« Da war wieder dieses verführerische unterdrückte Grinsen. »Willst du wissen, wie es sich anfühlt, zu fliegen?«
»Mit dir?«
Sein Grinsen wurde breiter. »Ich kann dir auch einen anderen Engel rufen, wenn dir das lieber ist.«
»Was? Nein! Ich …« Mit ihm zu fliegen, bedeutete, ihm nah zu sein. Sehr nah. Das machte mich nervös, ganz besonders nachdem ich mich wieder daran erinnerte, dass Akashiel der Grund war, warum ich Kyles – Kyriels – Kuss nicht erwidert hatte. Herr im Himmel, mich hatte ein Anhänger des Teufels zu küssen versucht!
»Rachel?«
Jäh aus meinen Gedanken gerissen, sah ich ihn an. »Hm?«
»Stimmt etwas nicht?«
Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Nur ein paar Gedankensprünge. Mach dir keine Hoffnungen, ich lass dich nicht daran teilhaben. Du würdest ohnehin nur wieder lachen.«
»Dir ist aber klar, dass ich nicht über dich lache, oder?«
»Ich denke
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