Rebellion Der Engel
der Rückwand. Der Raum war verlassen. Was merkwürdig war, denn er konnte die Anwesenheit der Engel noch immer riechen. Er trat an die Wand zurück und blickte suchend zur Decke, als ihn ein Knirschen unter seinen Schuhsohlen aufhorchen ließ. In diesem Teil des Raumes war der Boden über und über mit Eiskristallen bedeckt. Er machte ein paar Schritte zur Seite, fort von der Eisschicht. Seine Schuhe wirbelten Asche in die Luft, hellgraue Flocken, die sich deutlich im hereinfallenden Sonnenlicht abzeichneten. Der Boden war überzogen von den Überresten der beiden Engel, deren Präsenz er noch immer mit jeder Faser seines Körpers zu spüren glaubte. Doch da war noch mehr. Wenn er seine Sinne ausstreckte, empfing er das deutliche Echo von Kyriels Anwesenheit. Der Gefallene war hier gewesen. Der ganze Raum stank nach seiner Gegenwart! Er hatte Lelahel und Nathanael getötet und Rachel mitgenommen.
Zum wohl hundertsten Mal streckte er seine Sinne nach ihrer Signatur aus. »Verflucht, Rachel!« Wie sollte er sie finden, wenn sie sich abschottete! Hatte er ihr überhaupt beigebracht, wie sie den Schleier fallen lassen konnte? Das alles war neu für sie. Während der letzten Stunden hatte sie so viel gehört und gesehen. So viele Dinge, die sie schlichtweg überfordern mussten, sodass sie womöglich gar nicht auf den Gedanken kam, dass er sie nicht finden konnte, solange sie sich hinter dem Schleier verbarg.
»Denk nach«, drängte er sich selbst. »Wie kann ich sie dennoch finden?«
Ein Geräusch außerhalb des Büros, so leise, dass er es nicht einordnen konnte, schreckte ihn auf. Noch immer unsichtbar, das Flammenschwert erhoben, verließ er das Büro und versetzte sich ins Zentrum der Halle, aus der die Laute gekommen waren. Von einer dicken braunen Staubschichtund unzähligen Spinnweben abgesehen, war die Halle leer, sodass er sich schnell einen Überblick verschaffen konnte. Das Erste, was er sah, war das Blut, das den Boden unmittelbar neben seinen Füßen bedeckte. Der Anblick der dunklen Lache, die sich deutlich auf dem Beton abzeichnete, ließ seine Sorge um Rachel ins Unermessliche steigen.
Er sah sich weiter um, suchte nach dem Ursprung der Geräusche und fand ihn in einer dunklen Ecke. Rachels Freundin kauerte an der Wand, von heftigem Schluchzen geschüttelt, und versuchte sich so klein wie möglich zu machen. Akashiel ließ das Schwert verschwinden und ging zu ihr. Amber zitterte am ganzen Leib, ihre Kleider waren über und über von Blut besudelt, das Gesicht hinter einem Vorhang honigblonder Haare verborgen, in denen ebenfalls Blut klebte. War sie verletzt oder hatte sie versucht, Rachel zu helfen, und das war ihr Blut?
Um das herauszufinden, musste er sich sichtbar machen.
Da sie ohnehin nichts von ihrer Umwelt wahrzunehmen schien, verzichtete er darauf, die Halle dafür zu verlassen. Er ließ den Schleier einfach an Ort und Stelle fallen und ging vor der Frau in die Hocke.
»Amber?«, fragte er vorsichtig.
Ihr Kopf ruckte hoch, das Haar rutschte zur Seite und offenbarte ein bleiches Antlitz, dessen linke Seite von getrocknetem Blut überzogen war. Noch immer hingen ihr einzelne Strähnen ihrer blonden Locken ins Gesicht. Sie starrte ihn aus verquollenen Augen an, ihr Blick leer und abwesend.
Akashiel hob beschwichtigend die Hände. »Keine Angst, ich tue Ihnen nichts. Sind Sie verletzt?«
»Ja. Nein.« Ein Funken Leben flammte in ihren Augen auf, gepaart mit Angst und Verwirrung. »Ich weiß es nicht.«
Akashiel suchte nach dem Ursprung des Bluts in ihrem Gesicht und an ihrem Körper, konnte jedoch keineVerletzung finden. Dort, wo das meiste Blut klebte, war ihre Bluse zerfetzt. Als hätte ihr jemand eine Klinge ins Herz gestoßen.
»Sie waren verletzt«, mutmaßte er. »Aber jetzt nicht mehr?«
Sie nickte.
»Jemand hat Sie geheilt.«
Wieder ein Nicken.
»Kyriel?« Noch ehe er die Frage in ihren Augen sah, erinnerte er sich an die Maske, hinter der sich der Gefallene verbarg. »Der Reverend – hat er Sie geheilt?«
Ihre Antwort bestand lediglich aus einem Kopfschütteln.
Es wäre wirklich hilfreich, wenn sie in vollständigen Sätzen antworten würde, doch aus ihr etwas herauszubringen, war schwieriger, als eine ganze Halle Menschen durch bloße Einwirkung auf ihren Geist zu beruhigen. Am liebsten hätte er sie angeschrien, bis sie ihm endlich sagte, was passiert war und wo er Rachel finden konnte. Ihr Anblick genügte ihm jedoch, um zu erkennen, dass er damit nicht weit kommen
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