Rebellion Der Engel
noch einmal überprüft und dann endgültig abgeschlossen werden sollte.«
»Altfall?« Seine Worte fühlten sich an wie ein Schlag ins Gesicht. »Akte?« Ich schoss hoch und begann in meinem Büro auf und ab zu tigern. Gerade hatte ich es geschafft, mich mit dem Gedanken an die Existenz von Schutzengeln anzufreunden, und plötzlich sollte ich für sie nichts anderessein als ein Fall? Einer von vielen! Mit dem Rücken zum Fenster blieb ich stehen, den Blick in die Mitte des Raumes gerichtet, als stünde Akashiel dort. »Wie soll ich das verstehen?«
Er erklärte mir, dass er beinahe täglich aktuelle Fälle hereinbekam, die er bearbeitete und nach einiger Zeit – meistens nach mehreren Jahren – noch einmal zu überprüfen hatte, ehe sie zu den Akten gelegt werden konnten. »Ich hatte eine Eingabe beim Chef gemacht und darum gebeten, noch länger bei dir bleiben zu dürfen, doch es gab Menschen, die mich dringender brauchten.« Beinahe entschuldigend fügte er hinzu: »Es ist immer viel zu tun und wir sind dermaßen unterbesetzt, dass wir kaum hinterherkommen.«
Das hörte sich an, als würde er für eine Behörde arbeiten, statt dem Wohl der Menschheit zu dienen.
»Das mag unromantisch klingen«, sagte er, »aber es ist nun einmal so, dass wir einen Auftrag bekommen, ihn ausführen und uns danach dem nächsten Fall widmen. Wir sind schon heilfroh, wenn wir halbwegs mit der Arbeit auf dem Laufenden sind.«
»Kein Schutzengel für jeden? Kein Wunder, dass die Welt so ein Sauhaufen ist.«
»Wie viele Menschen gibt es auf der Welt?«
»Knapp sieben Milliarden?«
»Und jetzt stell dir das Gedränge vor, wenn neben jedem noch ein Schutzengel stünde – mal ganz davon abgesehen, dass es gerade genug von uns gibt, dass wir uns um ein paar Kleinstädte kümmern könnten.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wie viele Tote durch Unfall, Krankheit und Verbrechen gibt es täglich?«
»Viele?«, mutmaßte ich.
»Wir würden einen wirklich beschissenen Job machen, wenn jeder Mensch seinen persönlichen Schutzengel hätteund das unsere Erfolgsquote wäre«, sagte er. »Früher einmal hatte tatsächlich jeder Mensch seinen Schutzengel, doch die Welt wurde zu laut, zu hektisch und zu oberflächlich – und mit ihr die Menschen. Viele vergaßen, woran sie glaubten, und damit gerieten auch wir in Vergessenheit. Zu den meisten Menschen könnte ich nicht einmal mehr Kontakt aufnehmen, wenn ich ihnen direkt auf den Kopf trommeln würde. Sie würden mich nicht bemerken.«
»Also keine persönlichen Schutzengel«, sagte ich noch einmal.
»Nicht in diesem Sinne.«
»Dann gehe ich wohl lieber nicht mehr bei Rot über die Straße.« Allerdings verstand ich nicht, warum es so wenige von seinesgleichen geben sollte. Im Buch Henoch hieß es laut meinen Internet-Recherchen, dass es 1 000 mal 1 000 und 10.000 mal 10.000 Engel geben sollte. Was nichts anderes bedeutete, als dass ihre Zahl unendlich war.
»Das ist wahr, die Anzahl der Engel ist nicht in Zahlen fassbar, aber nicht alle Engel sind Schutzengel«, erklärte Akashiel, als ich ihm davon erzählte. »Die wenigsten wollen das sein, denn dazu müssten sie das Himmelreich verlassen und sich unter die Menschen begeben.«
»Du sagst das, als würden sie davon Ausschlag bekommen.«
»Was vermutlich zutrifft. Die Wahrheit ist, dass sich die meisten Engel etwas auf ihre Herkunft einbilden und lieber unter sich bleiben.«
Ich lehnte mich mit dem Rücken an die Fensterbank und verschränkte die Arme vor der Brust. »Was ist mit verstorbenen Menschen? Kommen die nicht ebenfalls ins Himmelreich? Könnten die nicht …?«
Akashiels Lachen umspülte mich wie eine warme Welle. »Du hast Ein Engel auf Erden gesehen, was?«
Mein Gesicht wurde heiß, ich fühlte mich ertappt.
»Auch wenn ein paar unserer Leute Michael Landon bei den Drehbüchern beraten haben, hat das Ganze nichts mit dem wirklichen Business zu tun.« Seine Stimme klang weich und deutlich amüsiert. Ich war mir sicher, dass er grinste. Als er jedoch fortfuhr, war die Fröhlichkeit verschwunden. »Verstorbene Menschen werden nicht zu Engeln und reisen von Ort zu Ort, auf der Suche nach Hilfsbedürftigen.«
»Was passiert dann mit uns, wenn wir … nicht mehr sind?« Was ist mit meiner Mom passiert? »Können wir überhaupt je in den Himmel kommen, wenn die Engel uns derart verabscheuen?«
»Im Himmel ist für jede Seele Platz.«
Das hätte sich lächerlich anhören müssen. Kitschig und pathetisch. Aber er
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