Rebellion Der Engel
warum er es tat. Wie ich zuvor, schien auch er begriffen zu haben, dass wir beide ein wichtiger Teil von Ambers Leben waren und uns in Zukunft vermutlich oft sehen würden. Dass er sich so darum bemühte, mich besser kennenzulernen, gefiel nicht nur mir. Amber war darüber vollkommen aus dem Häuschen.
»Ist es nicht großartig, wie er sich um deinen Segen bemüht?«, platzte sie heraus, als er zur Toilette gegangen war.
»Meinen Segen?«
»Er weiß, wie wichtig du für mich bist, deshalb will er es sich mit dir nicht verscherzen.«
»Du meine Güte«, lachte ich. »Das klingt ja, als wäre ich der Pate und würde ihm einen Schlägertrupp vorbeischicken, sobald er mal etwas Falsches sagt.«
»Blödsinn!« Amber schlug scherzhaft nach meinem Arm. »Er möchte einfach ein gutes Verhältnis zu dir haben. Und mir ist es offen gestanden auch lieber, wenn sich meine beste Freundin und mein Freund vertragen.«
Da musste ich ihr recht geben. Auf dem College war sie einmal mit einem Kerl zusammen gewesen, den ich nicht ausstehen konnte – und er mich ebenso wenig. Wann immer wir aufeinandertrafen, konnte man bereits bei der Begrüßung spüren, dass Ärger in der Luft lag. Letztlich war mir nichts anderes übrig geblieben, als ihm aus dem Weg zu gehen, was zur Folge hatte, dass ich Amber nur allein – und damit viel seltener als sonst – sehen konnte. Die vier Monate, die sie sich mit diesem Kerl getroffen hatte, waren mir wie eine Ewigkeit vorgekommen, insofern begrüßte ich Nates Bemühungen sehr. Ganz davon abgesehen, dass er mir ohnehin von Anfang an sympathisch gewesen war.
»Mach dir keine Sorgen, Amber«, sagte ich. »Nate ist toll und wir werden ganz bestimmt wunderbar miteinander auskommen.«
»Danke, Rachel.«
Nate kehrte zu uns zurück und wir nahmen unsere Unterhaltung wieder auf. Bis wir uns schließlich voneinander verabschiedeten, wusste er eine Menge über mich. Das nächste Mal war er dran, sein Leben auf den Tisch zu packen.
Als ich auf dem Weg nach Hause war, dämmerte es bereits. Obwohl die Main Street um diese Zeit noch gut besucht war, wollte ich nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr zu Fuß unterwegs sein. Mein Puls raste und wurdevom Anblick des Tors zum Ruby Falls Park noch weiter angetrieben. Ich hetzte am Park und am Friedhof vorbei, die Augen starr auf den Weg vor mir gerichtet, und sagte mir, dass meine Angst irrational und unbegründet sei. Es war das erste Mal gewesen, dass mir etwas Derartiges passiert war. Ein einziges Mal in fünfundzwanzig Jahren. Himmel, diese Maskierten hatten mich nicht einmal erwischt! Wollte ich wirklich mein Leben von der Angst beherrschen lassen, dass etwas Ähnliches noch einmal geschehen könnte?
Es war an der Zeit, mein Leben nicht länger von den Ereignissen der letzten Tage bestimmen zu lassen. Dinge, die ich nicht ändern konnte und von denen ich nicht einmal wusste, warum sie mir zustießen. Die ganze Woche über hatte ich nichts anderes getan, als auf die Geschehnisse zu reagieren. Dabei hatte ich mein Leben auf Warteposition gestellt, darauf harrend, dass das nächste außergewöhnliche Ereignis eintrat. Aber so konnte es nicht weitergehen. Ich musste anfangen, mein Leben wieder zu leben. Der gemeinsame Abend mit Amber und Nate war ein Anfang und das morgige Grillfest meine Chance, damit weiterzumachen. Abgesehen davon war es eine wunderbare Gelegenheit, Kyle noch einmal über Engel auszuquetschen.
Ich zwang mich, ein wenig langsamer zu gehen, noch immer zügig, doch nicht mehr so hart an der Grenze zur kopflosen Flucht, und warf einen Blick hinter mich, wo der Friedhof und der Park langsam außer Sichtweite verschwanden. Im Laufe der Zeit würde die Furcht verfliegen, die mich seit dem Sonntag jedes Mal beim bloßen Anblick des Tors oder der Friedhofsmauer überkam. Das zu wissen, hob meine Laune beträchtlich.
Als ich in meine Straße einbog, versank die Sonne über dem Puget Sound und tauchte die Wolken, die sie umgaben, in feuerrotes Licht. Dort, wo die Sonne sie nicht mehrerreichte, schienen sie sich auszubreiten, als hätte allein die Wärme das zuvor verhindert. Getrieben von einer aufkommenden Brise breiteten sich die Wolken wie ein silbergrauer Schleier über den Himmel aus. Die Helligkeit schwand zunehmend und mit ihr verblassten auch die Farben.
Ein eigenartiges Gefühl ergriff von mir Besitz, das nichts mit der herannahenden Dunkelheit zu tun hatte. Es war die eisige Hand der Vorahnung, die mich streifte und meinen Schritt für
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