Rebellion Der Engel
irgendwann werden auch die Anrufe seltener, und auch wenn man sich tausendmal geschworen hat, in Verbindung zu bleiben, funktioniert das in den wenigsten Fällen tatsächlich. Da ist es gut, wenn man neue Freundschaften schließt, dann trifft einen die Einsamkeit nicht so hart.«
Auch wenn nicht all meine Freundschaften aus der Zeit in Seattle im Sande verlaufen waren, lag Lea sicher nicht verkehrt. Telefonate waren in der Tat seltener geworden, meistens beschränkten wir uns auf kurze E-Mails, und zu Gesicht bekam ich meine Freunde von früher nur noch zu Geburtstagsfeiern oder auf Hochzeiten.
Ich mochte Leas offene Art. Nicht jeder hätte einer nahezu Fremden gegenüber zugegeben, dass ein Umzug in den meisten Fällen auch einen schleichenden Prozess der Einsamkeit mit sich brachte.
»Lasst uns nach drinnen gehen.« Lea lief den Hang so leichtfüßig hinauf, dass ich mich fragte, ob man das tatsächlich noch als Gehen bezeichnen konnte oder ob es bereits unter Schweben fiel. Sie wirkte immer so anmutig und zerbrechlich auf mich, obwohl ich den Verdacht hatte, dass sie verdammt zäh sein konnte, wenn es nötig war.
Amber wartete an der Tür auf uns. »Ist Nate nicht da?«
Lea schüttelte den Kopf. »Er müsste aber jeden Moment kommen. Ich habe ihn noch mal losgeschickt, um Brot und Wein zu besorgen.«
Wir betraten einen kleinen, rechteckigen Vorraum. Lea nahm uns die Handtaschen ab und hängte sie an die Garderobe. Als wir ins Wohnzimmer kamen, war ich überrascht.So herzlich, wie ich Lea bisher kennengelernt hatte, hatte ich ein gemütlich eingerichtetes Nest erwartet, stattdessen war der Raum nur spärlich möbliert und ohne jeden persönlichen Akzent.
Lea deutete auf die linke der beiden Türen am hinteren Ende des Raumes. »Dort ist die Küche und da«, sie deutete auf die rechte Tür, »geht es zum Bad.« Dann wandte sie sich wieder uns zu und breitete die Arme aus. »Und hier, wie unschwer zu erkennen, ist unser Wohn- und Esszimmer.«
Den größten Teil des Wohnbereiches nahmen ein riesiges Ecksofa und zwei Sessel ein, die mit einem verblichenen Blümchenstoff bezogen waren. Davor stand ein Couchtisch aus schartigem Holz. Die Einbauregale an den Wänden waren bis auf ein paar Bücher und einen künstlichen Efeu, auf dem sich der Staub abgesetzt hatte, nahezu leer. Ich konnte keinen Fernseher und auch keine Stereoanlage entdecken. In der Essecke, die die linke Seite des quadratischen Raumes einnahm, dominierte ein rechteckiger Tisch, um den herum sechs Stühle gruppiert waren. An der Wand stand eine Anrichte, deren Ablagefläche so leer war wie der Rest des Raumes. Es gab keine Bilder oder Blumen, der einzige Wandschmuck war ein mit kunstvollen Schnitzereien verziertes Holzkreuz über der Anrichte. So spartanisch, wie alles eingerichtet war, erstaunte es mich kaum noch, dass anstelle von hübsch drapierten Stoffgardinen lediglich beige Lamellenvorhänge vor den Fenstern hingen, die besser in ein Büro gepasst hätten als in einen Wohnraum. Alles in allem erinnerte mich das Haus mehr an ein zweckmäßig eingerichtetes Ferienhaus als an ein bewohntes Heim.
»Es ist grausam.« Lea war mein Blick nicht entgangen. »Die meisten unserer Sachen stehen noch in Kisten verpackt bei unserer Tante. Wir wollten erst renovieren, bevor wir alles holen. Allerdings müssen wir noch bis nächstenMonat warten, wenn die Bonuszahlung fällig ist, bevor wir loslegen können. Aber das Erste, was ich rauswerfen werde, sobald wir wieder flüssig sind, ist dieses grauenvolle Ungetüm von einem Sofa. Wenn ich dieses Blümchenmonster sehe, muss ich immer an die Blütenschalen denken, die oft in den Waschräumen von Restaurants oder Kinos stehen.«
Der Vergleich war nicht von der Hand zu weisen. »Vielleicht könntet ihr statt der Sessel ein paar Kabinen …«
Lea und Amber prusteten los, noch bevor ich meinen Satz vollendet hatte. Ich konnte nicht anders als in ihr Gelächter einzustimmen, als plötzlich ein hochgewachsener Mann auf der Schwelle zum Wohnzimmer erschien. Die beiden anderen standen mit dem Rücken zu ihm, sodass ich die Erste war, die ihn sah. Sein Anblick löste etwas in mir aus, das mich schlagartig verstummen ließ. Ich wollte ihn begrüßen, doch ich brachte keinen Ton hervor, konnte ihn nur anstarren.
Ich schätzte ihn auf Anfang vierzig, er war groß und durchtrainiert. Sein Haar war von einem Blond, dass es beinahe schon golden aussah, die Züge ebenmäßig und voller Stolz, die Augen so blau wie das
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