Rebellische Herzen
den blöden englischen Schuhen taten ihr die Füße weh. Alle lachten sich an, als würden sie sich mögen, aber sie hörte zwei Frauen reden und die mochten gar niemanden. Sie sagten gemeine Dinge mit einer so weichen, sanften Stimme, wie sie Lady Miss Charlotte von Leila hören wollte, und das ließ die Gemeinheiten noch gemeiner klingen.
Und dieser Mann – er hasste Lady Miss Charlotte. Er war hässlich und hatte einen großen Bauch, und Leila dachte, er würde Lady Miss Charlotte vor der Kirche verhauen. jetzt sah er sie aus sicherer Entfernung drohend an, weil er Angst vor Papa hatte. Die Frauenstimmen fanden das lustig. Sie sagten, dass der Mann gemein war und dass es Vergnügen machte, ihn zu beobachten, wie er versuchte, sich um einen Streit mit Papa herumzudrücken.
Aber dann fragten sie, warum wohl Lady Miss Charlottes alte Bekannte mit ihr redeten. Wussten sie nicht, dass sie schlecht war und eine tüchtige Abreibung verdiente? Und warum hing Charlotte so erbarmungswürdig an Lord Ruskin? (Leila war der Ansicht, dass es eher ihr Vater war, der Lady Miss Charlotte nachstellte. Das fand sie auch nicht viel besser, aber sie mochte das schnoddrige Gerede der Frauen noch weniger.) War Charlotte endlich zur Besinnung gekommen und schnappte sich den erstbesten Mann, der sie nahm? Aber sie machte ein bisschen zu lange Zähne (Leila fand Lady Miss Charlottes Zähne schön) und bildete sich doch bestimmt nicht ein, sie könne Lord Ruskin kriegen. Er war ein guter Fang. Sie verdiente ihn gar nicht.
Leila verstand nichts von all dem, außer dass sie immer unglücklicher wurde und niemand sich dafür interessierte. Als sie vorgeschlagen hatte, dass Papa Lady Miss Charlotte heiraten Solle, stellte sie sich vor, dass Papa und ihre Gouvernante zusammensitzen und sie in die Mitte nehmen, ihr vorlesen, sie umarmen, küssen und mit ihr reden würden.
Stattdessen hatten Papa und Lady Miss Charlotte nur Augen füreinander! Papa beobachtete Lady Miss Charlotte offen. Lady Miss Charlotte tat so, als würde sie ihn nicht beobachten. Und die ganze Zeit über behielten sie sich gegenseitig im Blick. Das war nicht recht. So hatte sie sich das nicht vorgestellt.
Fröhliches Jungengeschrei lenkte Leila ab. Ihre Lippe zitterte und Tränen standen ihr in den Augen.
Robbie war ihr Bruder, aber es kümmerte ihn nicht, dass sie traurig war. Er stolzierte Arm in Arm mit Alfred, seinem blöden neuen Freund, der sie ein dummes Mädchen nannte und nie mitspielen ließ, über den Kirchplatz.
Niemand hatte sie lieb und sie wollte heim. Heim nach El Bahar.
Mr. und Mrs. Burton, die engsten Freunde ihrer Eltern, gingen Charlotte durch die trocknenden Pfützen auf dem Kirchplatz entgegen, und sie machte sich auf weiß Gott was für eine schreckliche Szene gefasst.
Aber Mrs. Burton streckte Charlotte die Arme entgegen. »Liebes, seit wann sind Sie wieder da?«
Die umfangreiche Frau schloss sie in die Arme und Charlotte drückte lange und fest zurück. »Ein paar Wochen, Mrs. Burton.«
»Und haben Sie für den alten Burt auch noch eine Umarmung übrig?«, fragte Mr. Burton.
»Natürlich.« Eine Flut all ihrer Fantasiebilder brach über sie herein, als sie ihn umarmte. jahrelang hatte sie Albträume vom Tag ihrer Rückkehr gehabt. Doch jetzt umarmten sie Mr. und Mrs. Burton vor den Augen der ganzen tratschenden Gemeinde, und nicht eine, sondern zwei ihrer alten Freundinnen kamen, um sie zu begrüßen.
»Wenn Sie uns geschrieben hätten, Charlotte …« Mrs. Burton runzelte die Stirn als sie von der Vergangenheit sprach. Dann rückte sie die Schleife an Charlottes Hut zurecht, als wäre sie noch ein Kind. »Ich wünschte, Sie hätten geschrieben.«
Aber die Burtons hatten ihr bei ihrer Flucht nie Hilfe angeboten. Niemand hatte das. In ihrem jugendlichen Zorn und Schmerz glaubte sie, von allen verlassen zu sein. Heute kam ihr zum ersten Mal in den Sinn, dass sich die Ereignisse damals derart überschlagen hatten, dass die Leute vor Überraschung wie gelähmt waren. Vielleicht hatten sie ihr Tun missbilligt, hätten ihr aber trotzdem geholfen. Oder, noch wahrscheinlicher, sie hatten erwartet, gefragt zu werden.
Als sie die traurigen Gesichter der Burtons sah, wurde ihr klar, dass sie sich vielleicht geirrt hatte, als sie glaubte, ganz auf sich allein gestellt zu sein.
»Es tut mir Leid, Mrs. Burton«, sagte Charlotte. »Von heute an werde ich mich bessern.«
»Von heute an werden Sie da sein und ich kann mit Ihnen reden. Sie sind also
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