Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Wimpern, Schmollmund. Candice' Zuhälter.
»Besonders hübsch ist er ja nicht.«
Clarke legte das nächste Foto hin. »Kenny Houston.«
»Von Pretty-Boy zu Grotten-Hässlich.«
»Ich bin sicher, seine Mutti hat ihn lieb.« Vorstehende Zähne, teigige Haut.
»Was macht er?«
»Sein Ressort sind die Türsteher. Kenny, Pretty-Boy und Tommy Telford sind in derselben Straße aufgewachsen. Sie bilden den harten Kern der ›Familie‹.« Sie ging ein paar weitere Fotos durch. »Malky Jordan... er sorgt für den Drogennachschub. Sean Haddow... das kleine Großhirn, kümmert sich um die Finanzen. Ally Cornwell... Muskelmann. Derek McGrain... Die ›Familie‹ kennt keine konfessionellen Unterschiede, Evangelen und Papisten arbeiten Seite an Seite.«
»Eine ideale Gesellschaft.«
»Bloß ohne Frauen. Telfords Philosophie: Beziehungen schaden dem Geschäft.« Rebus hob einen Stoß Blätter auf. »Also, was haben wir konkret?«
»Alles außer den Beweisen.«
»Und die soll die Observierung liefern?«
Sie lächelte über den Rand ihres Bechers hinweg. »Sie sind da nicht so überzeugt?«
»Ist nicht mein Problem.«
»Trotzdem interessiert es Sie.« Kurze Pause. »Candice?«
»Es gefällt mir nicht, was mit ihr passiert ist.«
»Schön, nur vergessen Sie nicht: Von mir haben Sie das alles hier nicht.«
»Danke, Siobhan.« Kurze Pause. »Und sonst, alles in Ordnung?«
»Bestens. Es gefällt mir beim Crime Squad.«
»Bisschen mehr los als in St. Leonard's.«
»Brian fehlt mir.« Ihr früherer Partner, mittlerweile aus dem Dienst ausgeschieden.
»Sehen Sie ihn manchmal?«
»Nein, und Sie?«
Rebus schüttelte den Kopf, stand auf und begleitete sie zur Tür.
Er beschäftigte sich rund eine Stunde lang mit den Unterlagen, erfuhr mehr über die »Familie« und ihre verwickelten Aktivitäten. Nichts über Newcastle. Nichts über Japan. Die acht oder neun Männer, die den Kern der »Familie« bildeten, waren zusammen zur Schule gegangen. Drei von ihnen hockten weiterhin in Paisley und kümmerten sich um das Stammgeschäft. Die übrigen befanden sich mittlerweile in Edinburgh und arbeiteten emsig daran, Big Ger Cafferty die Stadt aus den Klauen zu reißen.
Er ging die Liste der Nachtklubs und Bars durch, an denen Telford beteiligt war. Beigefügt waren Polizeiberichte über Festnahmen in der näheren Umgebung der Lokale. Schlägereien zwischen Betrunkenen, tätliche Angriffe auf Rausschmeißer, Sachbeschädigungen an Autos und Gebäuden. Dann fiel Rebus etwas auf: ein parkender Würstchenwagen, der vor mehreren Klubs beobachtet worden war. Befragung des Besitzers als möglichen Zeugen. Aber der hatte nie etwas Nennenswertes beobachtet. Name: Gavin Tay.
Mr. Taystee.
Der angebliche Selbstmörder von neulich. Rebus klingelte bei Bill Pryde an, fragte nach dem Stand der Ermittlungen.
»Sackgasse, Kumpel«, sagte Pryde nicht übermäßig bekümmert. Pryde: zu lange keine Beförderung und auch keine in Aussicht. Am Anfang des langen Abstiegs in den Ruhestand.
»Wussten Sie, dass er nebenher auch eine Würstchenbude betreibt?«
»Könnte erklären, wo er die Knete herhatte.«
Gavin Tay, ein Ex-Knacki, war seit mehr als einem Jahr im Eiscremegeschäft gewesen. Und das mit Erfolg: Vor seinem Haus parkte ein neuer Benz. Nach seinen Kontoauszügen zu schließen, hatte er keine nennenswerten Rücklagen gehabt. Seine Witwe konnte sich den Benz auch nicht erklären. Und jetzt der Nachweis, dass er einen Zweitjob gehabt, dass er nebenher Hotdogs und Getränke an Leute verkauft hatte, die aus Nachtklubs torkelten. Aus Tommy Telfords Nachtklubs.
Gavin Tay: mehrere Vorstrafen wegen Körperverletzung und Hehlerei. Ein Gewohnheitsverbrecher, der endlich die Kurve gekriegt hatte... Im Zimmer wurde es allmählich stickig. Rebus schmerzte der Kopf. Und da er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte, beschloss er, ein paar Schritte zu laufen.
Ging durch die Meadows und über die George IV. Bridge, dann die Playfair Steps hinunter zur Princes Street. Auf den steinernen Stufen vor der Scottish Academy saß eine Gruppe von Leuten: unrasiert, gefärbte Haare, zerrissene Kleidung. Die Besitzlosen der Stadt, die ihr Bestes taten, um nicht ignoriert zu werden. Rebus wusste, dass er einiges mit ihnen gemeinsam hatte. Im Lauf seines Lebens war er bereits in mehreren Rollen gescheitert: als Ehemann, Vater, Liebhaber. Er hatte es nicht geschafft, den Vorstellungen der Army gerecht zu werden, und bei der Polizei war er auch nicht gerade
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