Rebus - 09 - Die Sünden der Väter
Porzellanmaler, Stellmacher, Magd. Was konnten sie einem Schotten mittleren Alters schon bedeuten? Er schob die Unterlagen beiseite und legte Siobhans Akten auf den Tisch.
Schluss mit Van the Man; los mit Seite eins von WishYou Were Here . Zerkratzt wie sonst was. Er erinnerte sich, dass die Platte seinerzeit in einer schwarzen Plastikhülle steckte. Wenn man sie aufgerissen hatte, war da so ein Geruch herausgeströmt - angeblich, wie er später erfahren hatte, der Gestank von brennendem Fleisch...
»Ich brauche einen Drink«, sagte er zu sich und beugte sich in seinem Stuhl nach vorn. »Ich will einen Drink. Ein paar Bier, vielleicht mit je einem Whisky dazu.« Etwas, um die Kanten zu glätten...
Er sah auf die Uhr; Sperrstunde noch in weiter Ferne. Nicht dass die in Edinburgh viel bedeutet hätte, dem Land, an dem die Sperrstunde spurlos vorbeigegangen war. Konnte er es zum Ox schaffen, ehe es zumachte? Ja, war viel zu einfach gewesen. Eine gewisse Herausforderung erhöhte den Reiz. Warten wir noch ein Stündchen, und dann sehen wir weiter. Oder rufen Jack Morton an. Oder gehen aus dem Haus, jetzt gleich.
Das Telefon klingelte. Er nahm ab.
»Hallo?«
»John?« Klang wie »Sean«.
»Hallo Candice. Was gibt's?«
»Gibt's?«
»Irgendein Problem?«
»Problem, nein. Ich nur wollte... ich sage zu dir, bis morgen.«
Er lächelte. »Ja, wir sehen uns morgen. Du sprichst sehr gut Englisch.«
»I was chained to a razor Made.«
»Was?«
»Ist aus Song.«
»Ach ja, klar. Aber jetzt bist du da nicht mehr angekettet, oder?« Sie schien nicht zu verstehen. »Ich... äh...«
»Ist schon gut, Candice. Bis morgen.«
»Ja, morgen.«
Rebus legte auf. An eine Rasierklinge gekettet... Mit einem Mal hatte er gar keine Lust mehr auf einen Drink.
9
Er holte Candice am folgenden Nachmittag ab. Zwei Plastiktüten enthielten ihre gesamte Habe. Sie umarmte Sammy so fest, wie ihre bandagierten Arme es zuließen.
»Auf Wiedersehen, Candice«, sagte Sammy.
»Ja, wiedersehn. Ich danke...« Dann wusste sie nicht mehr weiter und breitete nur die Arme aus, dass die Tüten hin und her schwangen.
Sie hielten kurz bei McDonald's (ihre Entscheidung), um sich Proviant zu besorgen. Zappa und die Mothers:
»Cruising for Burgers«. Der Tag war klar und kalt, genau richtig, um über die Forth Bridge zu fahren. Rebus fuhr gemächlich, damit Candice die Aussicht genießen konnte. Ihr Ziel war East Neuk, eine bei Künstlern und Urlaubern beliebte Ansammlung von Fischerdörfern an der Südostküste von Fife. Jetzt, außerhalb der Saison, wirkte Lower Largo wie ausgestorben. Rebus hatte zwar eine Adresse, aber er musste halten, um nach dem Weg zu fragen. Schließlich parkte er vor einem kleinen Reihenhaus. Candice starrte auf die rote Tür, bis er ihr durch Gesten bedeutete, ihm zu folgen. Er hatte es nicht geschafft, ihr begreiflich zu machen, was sie hier eigentlich wollten. Hoffte, Mr. und Mrs. Petrec würden diesbezüglich mehr Erfolg haben.
Die Tür wurde von einer Frau Anfang vierzig geöffnet. Sie hatte langes schwarzes Haar und sah ihn über den Rand einer Lesebrille hinweg prüfend an. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Candice und sagte etwas in einer Sprache, die die junge Frau offenbar verstand. Candice antwortete sichtlich scheu, wusste nicht, um was es ging.
»Kommen Sie bitte rein«, sagte Mrs. Petrec. »Mein Mann ist in der Küche.«
Sie setzten sich an den Küchentisch. Mr. Petrec war kräftig gebaut, hatte einen dichten braunen Schnurrbart und welliges braunes und silbergraues Haar. Eine Kanne Tee kam auf den Tisch, und Mrs. Petrec rutschte mit ihrem Stuhl neben Candice und fing wieder an zu reden.
»Sie erklärt dem Mädchen, wo sie ist«, sagte Mr. Petrec.
Rebus nickte, trank den starken Tee, lauschte einer Konversation, die er nicht verstand. Anfangs zurückhaltend, wurde Candice, während sie ihre Geschichte erzählte, zunehmend lebhafter, und Mrs. Petrec war eine geübte, einfühlsame Zuhörerin, bekundete Anteilnahme am Entsetzen und der Verzweiflung.
»Man hat sie nach Amsterdam gebracht, ihr erzählt, dass es dort Arbeit für sie geben würde«, erklärte Mr. Petrec. »Ich weiß, dass es anderen jungen Frauen auch so ergangen ist.«
»Ich glaube, sie hat ein Kind zurückgelassen.«
»Einen Sohn, ja. Sie erzählt meiner Frau gerade von ihm.«
»Was ist mit Ihnen?«, fragte Rebus. »Wie sind Sie hier gelandet?«
»In Sarajevo war ich Architekt. Keine leichte Entscheidung, sein ganzes Leben hinter sich
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