Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
aufklären. Der Bundesgerichtshof als letztes Korrektiv befasst sich nur mit dem abgelieferten Bild und dessen Entstehungstechnik, nicht aber mit der Frage, ob alle vorhandenen Materialien in dieses Bild eingetragen wurden.
Hätte der Bundesgerichtshof dagegen ein Videoband, zumindest aber ein authentisches Inhaltsprotokoll, wäre die Kontrollinstanz unabhängiger von den Behauptungen der zu Kontrollierenden, die denen noch nicht einmal bewusst geworden sein müssen.
Was bei den polizeilichen Protokollen als erster Rekonstruktion von Wirklichkeit völlig selbstverständlich ist, gibt es ausgerechnet dort nicht, wo die schwersten Straftaten mit den erheblichsten Strafen verhandelt werden: bei den erstinstanzlichen Hauptverhandlungen in Strafsachen vor den Landgerichten. Warum ist das so?
Das hat zum einen historische Gründe, die aber, seit der BGH auch die Beweiswürdigung kontrolliert, obsolet sind. Zum anderen, weil hier von einer teilweise sträflich naiven Strafprozessordnung vorausgesetzt wird, dass ein Richter, der dem Gesetz verpflichtet ist, über die ihn beeinflussenden psychologischen Effekte erhaben ist und selbstverständlich der Kontrollinstanz weder bewusst noch unbewusst eine falsche Geschichte vorlegen wird, um eine Urteilsaufhebung zu vermeiden. Das Gesetz nimmt an, dass Richter sich freiwillig und mit allen Konsequenzen der nächsten Instanz stellen und ihre möglichen Fehler freimütig eingestehen, selbst wenn es der Karriere schaden sollte.
Richter sind aber leider nicht so übermenschlich, wie unsere Strafprozessordnung es sich wünscht. Das hat ganz konkrete Gründe: Auf der einen Seite macht es sich in dienstlichen Beurteilungen gut, wenn ihm bescheinigt wird, der Richter sei in der Lage, revisionssichere Urteile zu schreiben, auf der anderen Seite wird ein Richter, dessen Urteile überdurchschnittlich oft von der nächsten Instanz aufgehoben werden, irgendwann vom Präsidium seines Gerichts in gerichtliche Besenkammern verbannt.
Die Menschen hinter den Roben und Uniformen
Bisher berücksichtigt der Gesetzgeber zu wenig oder gar nicht, dass auch Juristen und Polizisten nur Menschen sind. Und Menschen sind, wenn es ihnen gestattet wird, gerne faul, eitel, auf den eigenen Vorteil bedacht, und sie möchten gerne recht behalten – die wenigen Ausnahmen bestätigen die Regel.
Wenn man also einem Menschen per »richterlicher Unabhängigkeit« die Macht gibt, ungestraft und nahezu sanktionslos faul, rechthaberisch und egoistisch zu sein, dann wird er in vielen Fällen früher oder später davon Gebrauch machen. Insbesondere dann, wenn alle anderen sich ebenfalls so verhalten und man ansonsten ganz alleine dastünde mit seinen Idealen. Es gibt einfach zu wenige, die es durchhalten, gegen eingeschliffene Routinen und Rituale in Behörden anzukämpfen, denn dann werden sie natürlich zurechtgestutzt – mit der Folge, dass die Beurteilungen katastrophal sind, das Betriebsklima schlecht, die Karriere in Gefahr und die Moral am Ende ist.
Man sollte nie vergessen, dass Mitarbeiter, die durch gewissenhaftes oder intelligentes und ideales Handeln der Mehrheit der Angepassten und Mitläufer einen unangenehmen Spiegel vorhalten, sich bei Über geordneten, die häufig durch Anpassung in ihre Positionen gelangt sind, nicht beliebt machen. Verschärft wird diese Tendenz dadurch, dass Behörden- und Gerichtsleitungen nicht selten politisch besetzt werden – trotz des Bemühens, die Justiz unabhängig von der Politik zu halten.
Es gibt sicher Behörden, die noch nicht so marode sind wie die in Mannheim und in denen sich zumindest bemüht wird, dem Gesetz gerecht zu werden. Es kristallisiert sich aber heraus, dass die Strafprozessordnung ( StPO ) es den Menschen, die mit ihr arbeiten, zu leicht macht, sie zu umgehen, zu verbiegen, zu missachten, solange diese Akteure die Rückendeckung ihrer Vorgesetzten, der Gerichtsorganisa tion, der Medien und der Politik haben.
In diesem Justizsystem geschehen zu viele Dinge, die nicht nachprüfbar sind. Vielleicht ist die Verantwortung zu groß, die Einzelpersonen aufgebürdet wird. Sie müsste besser verteilt und kontrolliert werden, weil Menschen nicht in der Lage sind, mit ihr in einer Weise umzugehen, die nicht nur den Vorgesetzten gefällt (auch wenn Richter keine Vorgesetzten haben) und der Karriere dient, sondern der Sache, für die sie eigentlich einzutreten haben.
Der Druck der Medien, die ein populistisches Hau-drauf-Prinzip propagieren, macht die Sache
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