Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Dinkels.
November Prozesspause von zwei Wochen. Kachelmann fliegt nach Kanada zu seinen Kindern.
6. September 2010
Die letzten Tage vor Prozessbeginn verbrachte ich in leichter Lähmung und mit dem Unvermögen, richtig wach und richtig müde sein zu können, immer noch hoffend, dass irgendein Wunder passieren möge, das mir diese Ungerechtigkeit ersparte. Mir war klar, dass die kommenden Wochen für mich psychisch noch schwieriger auszuhalten sein würden als die Knastzeit. Sicher, frisch aus der Gefängniszelle zu kommen und in Handschellen vorgeführt zu werden, wenn das Oberlandesgericht Karlsruhe eine ähnliche Vorstellung von Recht gehabt hätte wie die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Mannheim, wäre wohl der Super- GAU gewesen; aber wenigstens hatte ich in meiner Knastzeit den Vorteil gehabt, die vorverurteilenden Medienheinis und -heidis ignorieren und die Tränen und die Wut meiner Mutter nur erahnen zu können. Was hätte mein Vater getan, wenn er noch am Leben gewesen wäre? Was würde ich tun, wenn das einem meiner Jungs passierte?
Ich denke, ich hätte mich mit einem Dixiklo vor das Landgericht gesetzt mit einem Liegestuhl und einem Transparent: Ihr seid nicht Deutschland, Seidlingbockbültmann . Väter haben ein gutes Gefühl für die Wahrheit und für einfache Mittel, diese kundzutun.
Doch dieses Prinzip der geschützten Werkstatt würde ich ab dem 6. September nicht haben. Ich wusste genau, was in den Medien passieren würde, und mir war auch klar, ich würde aushalten müssen, dass gelogen wird, dass sich die Balken biegen. Ich hatte in meinem früheren Leben in Beziehungsdingen auch mal ganz schön gelogen, aber nie vor Polizei und Gericht. Aus den Vernehmungsprotokollen wusste ich, dass mich ein Trauerspiel erwartete, und ich hatte als einzigen Trost, dass Richtung November auch die schlimmste Zeit meines Lebens enden würde. Was den Ausgang des Ganzen anging, versuchte ich optimistisch zu bleiben. Ich hatte nichts getan, weshalb es auch keine Spuren gab, wie schon das Oberlandesgericht festgestellt hatte, und bei einer Aussage-gegen-Aussage-Konstellation reichten laut OLG die Angaben von Dinkel nicht aus, nicht zuletzt, weil ihr schon ganz am Anfang des Verfahrens diverse Lügen nachgewiesen werden konnten. Leider unterschätzte ich den Eifer und die Ausdauer von Staatsanwaltschaft und Gericht, recht behalten zu wollen, ganz gewaltig.
In den letzten Stunden vor dem 6. September 2010 galt es, das Le ben in Zeiten der Katastrophe etwas angenehmer zu gestalten. Ich kam menschlich mit Verteidiger Birkenstock bis dahin ganz gut aus und gab ihm Tage später den Kosenamen Walze, in der Hoffnung, dass er alles plattmachen würde, was sich ihm in den Weg stellte. Ich hatte einige Nächte im Haus Birkenstock übernachtet und war dankbar dafür, aber ich wusste, dass ich das Ganze nur aushalten würde, wenn ich eine eigene Bleibe hatte. Für die Zeit des Prozesses hatten mir das Duo aus Medienanwalt Ralf Höcker und Medienmanager Michael Laschet (an seinen Firmennamen »Reich und Berühmt« konnte ich mich nicht recht gewöhnen; reich war ich schon damals nicht mehr, und dabei hatte Birkenstock seine endgültige Rechnung noch gar nicht geschrieben) Unterstützung angeboten, sowohl für die Gestaltung meiner Zukunft als auch auch bei den kleinen Sachen des Lebens, wie zum Beispiel bei dem Problem, eine Wohnung zu finden. Ich wusste gar nicht, dass es so etwas wie Wohnungen auf kurze Zeit gibt, aber ich hatte sogar eine Auswahl und suchte mir eine nette Wohnung mit Küche, Bad und Klo auf der Etage und Internet mitten in Hürth aus. Das fühlte sich schon eher wie Freiheit an, eine eigene Wohnung: wieder Nudeln kochen können – und hoffentlich keine Paparazzi.
Am Sonntag vor dem ersten Dinkel-Day gab es nicht nur die Schlüssel zur Wohnung, sondern auch einen Termin bei Höckers Leib- und-Magen-Friseur, der ein richtig klassischer Friseur war und viel mehr abschnitt, als ich wollte. Ich nehme an, dass Höcker mit ihm schon vorher den Konfirmandenlook verabredet hatte. Höcker wäre wahrscheinlich auch lieber gewesen, ich wäre erst mal eine Weile abgetaucht und dann irgendwie geläutert zurückgekehrt und so wieder ins Fernsehen gekommen, aber das war und ist mir nicht wichtig. Ich hatte bereits in der JVA vielen (zu vielen?) Leuten angekündigt, dass ich mich mit den Verhältnissen in der deutschen Justiz im Allgemeinen und dem Justizvollzug im Besonderen befassen würde, sobald ich rauskäme,
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