Rechtsdruck
Kaffee.«
»Gute Idee. Wenn ich hier fertig bin, komme ich auch dorthin.«
Uwe Wagner, der Pressesprecher der Kasseler Kripo und langjährige Freund
von Lenz, empfing den Kommissar mit einer herzlichen Umarmung.
»Wie geht’s?«, erkundigte sich Lenz. Wagner, der ein gutes halbes Jahr
zuvor bei einem Autounfall ziemlich übel im Gesicht und am Rücken verletzt worden
war, goss seinem Freund einen Becher mit Kaffee ein, stellte ihn auf dem Schreibtisch
ab und nahm selbst dahinter Platz.
»Ich will mich nicht beschweren. Die Therapie für die Wirbelsäule funktioniert
immer besser, und die Visage ist so langsam auch wieder zum Ansehen.«
»Na ja«, erwiderte Lenz mit Blick auf die zwei dicken, rot geränderten
Narben, die sich durch Wagners Gesicht und über den Hals zogen. »Schön ist was anderes.
Siehst immer noch ein bisschen aus wie Ribery für Arme«, fuhr er fort.
»Danke, mein Freund«, giftete Wagner zurück, doch er selbst war es,
der Lenz ein paar Monate zuvor, als er noch im Krankenhaus lag, darum gebeten hatte,
ihn nicht zu schonen, wenn es um seinen Heilungsprozess gehen würde. Damit wollte
der Pressesprecher nach eigenem Bekunden bewirken, dass er sich nicht vor den beiden
noch ausstehenden kosmetischen Operationen drücken würde. Wagners Angst vor allen
Arten von operativen Eingriffen war inzwischen legendär.
»Heute Morgen, beim Blick in den Spiegel, hab ich so bei mir gedacht«,
setzte der Pressemann an, doch der Hauptkommissar auf der Vorderseite des Schreibtisches
winkte nur desinteressiert ab.
»Lass es, Uwe. Nächsten Monat die eine OP, im übernächsten die andere,
und du bist diesen Scheiß so gut es geht los. Kneifen ist nicht, das weißt du doch.«
Wagner sah ein, dass es keinen Sinn hatte, mit seinem Freund verhandeln
zu wollen.
»Ganz schön scheiße gelaufen gestern, oder?«, spielte er offenbar auf
die Ereignisse um Kemal Bilgin an.
»Hast du auch einen Maulkorb verpasst bekommen?«, fragte Lenz zurück.
Wagner machte mit dem Kopf eine andeutende Geste in Richtung der obersten
Schublade seines Schreibtisches und nickte. »Hab ihn weggelegt, weil er ein bisschen
gedrückt hat«, gab er grinsend zurück. »Lag vielleicht daran, dass es nicht meine
Größe war. Außerdem stehe ich eh nicht so auf Maulkörbe.«
»Verstehe.«
»Aber dir muss ich vermutlich nichts erzählen, du musstest ja auch
so ein Ding tragen.«
Nun nickte Lenz. »Eindeutig, ja. Ich hätte Ludger erwürgen können,
aber das hätte mich auch nicht weitergebracht. Also haben Thilo und ich am frühen
Nachmittag Feierabend gemacht, was auch mal wieder eine schöne Erfahrung gewesen
ist.«
»Mit deiner Maria?«
»Hm.«
»Immer noch über beide Ohren verliebt?«
»Hm.«
»Kannst du auch ganze Sätze?«
»Hm.«
»Ach leck mich doch …«
»Nö, das lieber nicht.«
»Wie geht es in dem Fall jetzt weiter?«, wollte Wagner wissen.
»Thilo und ich machen Dienst nach Vorschrift, ganz wie der Herr Oberstaatsanwalt
Marnet es wünscht. Wenn ich meinen Kaffee hier getrunken habe, der im Übrigen mal
wieder hervorragend ist, machen wir uns auf die Socken. Vielleicht war es ja wirklich
der Türke.«
»Oder der Gärtner«, grinste Wagner.
»Oder der. Vielleicht hast du ja auch was Interessantes, um das wir
uns vorrangig kümmern könnten? Gab es in der vergangenen Nacht kein Verbrechen,
das Thilo und ich einfach mal so aufklären könnten? Das wäre immerhin gut fürs Ego.«
Wagner blätterte lustlos in einem Stapel Papiere, der vor ihm auf dem
Schreibtisch lag. »Nein, tut mir leid, aber letzte Nacht waren nur Eierdiebe in
Kassel unterwegs.« Er schob ein Blatt zur Seite. »Eine versuchte Vergewaltigung,
aber der Täter ist leider schon gefasst. Also keine Medaille mehr drin für euch.«
Die Din-A4-Seite wanderte auf einen anderen Stapel. »Hier, das wäre vielleicht was
für euch. Schwere Körperverletzung.«
»Nee«, winkte Lenz ab, »damit brauche ich dem Thilo gar nicht zu kommen,
das ist nun wirklich unter seiner Würde. Außerdem taugt es nicht zur Egopolitur.
Und am Ende läuft man sowieso Gefahr, bei der Festnahme des Täters selbst noch was
auf die Fresse zu kriegen.«
Wagner wollte das Blatt schon zur Seite legen, als sein Blick an einem
Detail des Falles hängen blieb. »Selbst wenn es irgendeinen Reiz an dem Fall gegeben
hätte, so wird er schon allein dadurch uninteressant, dass der Misshandelte noch
nicht einmal in Kassel zu Hause ist.«
»Sag ich doch!«, fühlte Lenz sich bestätigt.
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