RECKLESS HEARTS
Tüten auf und schüttete den Inhalt auf die Teller.
»Das heute Nacht war unser letzter Coup«, begann Atilla. Sofort wandten sich alle Blicke ihm zu.
»Die Zeichen stehen auf Ende, der Zeitpunkt ist gekommen …«, fuhr er bedeutungsschwer fort, Niklas und Jimmy nickten scheinbar zustimmend, obwohl sie eher überrascht aussahen. Alex schien ungerührt.
»Die heutige Nacht hat es uns deutlich gezeigt, meine Herren, auch wenn wir jetzt hier sitzen und den Tresor der Russkis in unserem Besitz wissen, auch wenn wir echt miese Gangster an der Nase herumgeführt und uns in ihre schmutzige Höhle gewagt haben. Die Zeit ist gekommen, dass die ‚Crime Artists‘ sich zur Ruhe begeben … zumindest vorerst.«
Er trank einen andächtigen Schluck, bevor er weiter sprach.
»Wir haben zwei Jahre lang dieselbe Tour durchgezogen, haben die reichen, satten Herrschaften ausgeraubt, haben uns nicht erwischen lassen, nie ist auch nur der Hauch eines Verdachts bezüglich unserer Identität aufgekommen und das, meine Herren, haben wir unserer aller Professionalität zu verdanken! Die Presse hat uns »Gespenster« genannt, wie unoriginell im Übrigen, und wir hatten - was das Wichtigste war - eine Menge Spaß! Jede Menge Spaß, und wir haben viel erbeutet. Das sind unumstößliche Fakten.«
Atilla hob, Stolz und Wehmut demonstrierend, sein Glas in die Höhe, und Niklas machte es ihm mit einem tiefen Atemzug nach: »Wo du recht hast!«, sagte er und beäugte dabei, schief grinsend, Alex, ohne dafür den Kopf zu drehen.
Alex, der nur eine einzige, kleine Rolle im letzten Kapitel ihrer glorreichen Geschichte gespielt hatte, sollte sich bloß nichts einbilden, konnte sich geehrt fühlen, dass er ausgewählt worden war und sich über seinen Anteil freuen … und die Klappe halten.
Auch Jimmy hob sein Glas hoch, stopfte sich gleichzeitig mit der freien Hand den Mund mit Erdnussflips voll und grinste.
Atilla sah eindringlich zu dem jungen Mann neben sich: »Alex, komm … hoch das Glas!«
Er ahnte, dass hinter Alex` ernster, reservierter Fassade ein emotionales Chaos für aufreibende Rastlosigkeit sorgte. Der Junge war hinter etwas her, eine Sehnsucht, die möglicherweise eine ungeheure Herausforderung darstellte.
Nachdem Alex aus dem Zimmer gegangen war, hatte sich Selin mühsam aufgesetzt, die zwei Aspirin geschluckt und das ‚Bullit‘ Plakat an der Wand gegenüber entdeckt. Steve McQueen trug ein Schulter-Holster mit Waffe, stützte sich in lässiger Pose an einer Wand ab und sah sie mit seinen stahlblauen Augen an. Coolness pur. Trotz ihrer Schmerzen starrte sie eine Weile schmunzelnd zurück, empfand ein kurzes Wohlempfinden und schwor sich in diesem Augenblick, keinen Schritt zurück und keinen nach links oder rechts zu tun, nur noch geradeaus, nur noch vorwärts in neue, fremde Gefilde, komme, was wolle.
Sicherheitshalber tastete sie noch mal nach ihrer Tasche, die zwischen ihr und der Wand lag, obwohl sie genau wusste, dass sie da war.
Als sie den Kopf wieder auf das Kissen legte, entspannten sich ihre Muskeln nach und nach, und ihr Herzschlag flachte ab. Doch so groß ihre Erschöpfung auch war, in den Tiefschlaf fand sie erst nach einer langen Phase im Dämmerzustand, in der sie wirre, unkontrollierte Bilder empfing. Sie liefen in so schneller Folge ab, dass sie keines wirklich fassen oder abspeichern konnte. Irgendwann endlich schlummerte sie ein.
Selin schreckte aus dem Schlaf hoch.
Ihr Herz klopfte laut. Sie hätte schwören können, Sabris Hand lag auf ihrer Stirn und seine Stimme hatte wie jeden Morgen »Ich muss jetzt los« gekrächzt.
Aber sie befand sich allein in einem fremden Zimmer, weit weg von zuhause, von Sabri, weg von allem, was bis gestern ihr Leben gewesen war. Die Erleichterung darüber umhüllte sie wohlig und ließ sie beruhigt durchatmen. Sie rubbelte sich über die Augen, sah sich um. Das blaue Licht der Morgendämmerung floss durchs Fenster herein, kroch bis zu Steve McQueen und sekündlich immer weiter durch den Raum. Der Schmerz in ihrer linken Hüfte hatte zu ihrer Freude stark nachgelassen.
Selin richtete sich vorsichtig auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht. Sie wusste wieder, wo sie sich befand und was geschehen war. Vor dem Unfall war da die Sache mit Sabri und der Pfanne gewesen, und nach dem Unfall war sie in einem Wagen zu sich gekommen. Auch die mysteriösen Typen tauchten glasklar in ihrer Erinnerung auf. Vor allem Alex … dieser Eine, der sie nicht gehen lassen
Weitere Kostenlose Bücher