Reden ist Silber, Kuessen ist Gold
»Ich kann mich kaum noch an ihn erinnern. Obwohl ich es oft versuche. Manchmal, wenn ich abends ins Bett gehe, denke ich an Dinge, die wir gemeinsam unternommen haben. Wie nach Disney World zu fahren oder Weihnachten. Aber es ist schwer.« Sie lehnte sich gegen Bullet. »Ich habe eine ganze Menge Halbbrüder und Halbschwestern. Die sind alle schon alt. Älter als Mom. Es ist schwer zu erklären.«
Vielleicht für eine Achtjährige, aber für ihn war es nicht schwer zu verstehen. Ray war erheblich älter gewesen als Skye. Er hatte Kinder aus erster Ehe. Erin war womöglich Tante von Leuten, die bereits Mitte dreißig waren.
»Er hat uns geliebt«, fuhr Erin fort. »Das hat er mir jeden Abend gesagt, wenn er mich ins Bett gebracht hat. Daran erinnere ich mich.«
Sie lächelte, und er konnte nicht anders, als ihr Lächeln zu erwidern. Denn alles andere hätte aus ihm ein noch größeres Schwein gemacht, als ihm lieb gewesen wäre.
In diesem Moment betrat Arturo den Stall. »Ich weiß ja nicht«, grummelte er, als er Erin neben dem Pferd stehen sah.
Sie ließ die Bürste fallen und lief zu ihm. »Bitte! Du hast es versprochen. Und Mom hat auch gesagt, dass es in Ordnung ist. Sie kommt später vorbei. Ich bin bereit. Wirklich, wirklich bereit.«
Über ihren Kopf hinweg warf Arturo Mitch einen Blick zu. »Sie will mit dem Springen anfangen.«
Mitch runzelte die Stirn. »Ist sie dafür nicht ein bisschen jung?«
»Das habe ich auch gesagt. Aber sie ist fest entschlossen.«
»Bin ich gar nicht.« Erin klang so dickköpfig wie ihre Mutter. »Ich habe keine Angst, und ich kann es.«
»Was für mich verdammt nach Entschlossenheit klingt«, lächelte Arturo und zerzauste ihre Haare. »Ich werde die Hindernisse aufstellen, aber du wirst mir genau zuhören und nur das tun, was ich dir sage. Versprochen?«
Sie schlang ihre Arme um ihn und schaute ihn strahlend an. »Großes Pfadfinderehrenwort.« Dann stürmte sie die Stallgasse hinunter und rief nach ihrem Pferd.
»Hoffentlich werde ich das nicht bereuen«, murmelte Arturo. »Du reitest mit Bullet aus?«
»Nein.«
»Er braucht aber ein bisschen Bewegung.«
»Daran hättest du denken sollen, bevor du ihn gekauft hast.«
Arturo sah ihn für eine lange Zeit schweigend an, dann drehte er auf dem Absatz um und verließ den Stall. Mitch ignorierte das aufsteigende Schuldgefühl und führte Bullet in seine Box.
Eine knappe halbe Stunde später bewies Erin, dass sie mehr als bereit war. Mit Leichtigkeit nahm sie die niedrigen Hindernisse, die Arturo in der Arena aufgebaut hatte. Sie ritt, als sei sie im Sattel geboren worden. Da sind meine Gene am Werk, dachte Mitch, als er am Zaun lehnte und ihr zuschaute.
Die nur zu vertraute Wut stieg wieder in ihm auf und kämpfte mit seinem Stolz. Alles wäre anders gewesen, dachte er erbost. Wenn er von Erin gewusst hätte, wäre er eher nach Hause gekommen. Er wäre ein Teil ihres Lebens gewesen. Und er hätte nicht so viel verpasst.
Er hörte, dass ein Auto vorfuhr, doch er drehte sich nicht um. Sekunden später wusste er, dass Skye neben ihm stand. Er konnte sie fühlen, ganz davon abgesehen, dass er ihr Parfüm unter Millionen erkannt hätte. Ein leichter Hauch dieses blumigen Duftes reichte, um das Begehren nach ihr wieder anzuheizen. Sie könnten es im Stall tun, wie früher, als sie noch jung waren.
Damals, als das Leben noch nicht so verdammt kompliziert gewesen ist, dachte er. Bevor er fortgegangen war und sie ihn betrogen hatte.
»Wir müssen reden, Mitch«, sagte sie.
Er spürte ihren Blick, drehte sich aber immer noch nicht um. »Dann rede.«
»Nicht hier.«
»Wieso nicht? Hast du einen besseren Ort im Sinn?«
»Irgendwo, wo wir ungestört sind. Der Stall, dein Büro, was auch immer. Nur nicht in der Nähe von Erin.«
Er warf ihr einen Blick zu, sah die Besorgnis in ihren Augen und noch etwas anderes. Etwas, das ihm den Hals eng werden ließ.
»Mein Büro«, sagte er und ging voran.
Sein Büro lag im Hauptgebäude der Stallanlagen, und seit seiner Rückkehr war er noch nicht wieder hier gewesen. Er erwartete beinahe, die Tür verschlossen vorzufinden, aber der Griff ließ sich ganz einfach drehen.
Drinnen war alles so, wie er es in Erinnerung hatte. Derselbe Schreibtisch am selben Platz. Der Computer sah neu aus. Vielleicht hatte Arturo den alten ausgetauscht, als er hörte, dass Mitch heimkommen würde. Akten, Bilder und ein kleiner, summender Kühlschrank in der Ecke - alles wie immer.
Es hatte eine Zeit
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