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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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ich konnte mir vorstellen, wie sie darauf brannte, der ganzen Nachbarschaft Bericht zu erstatten. »Ich hatte deiner Mutter hier beim Aufräumen geholfen, Steve«, fuhr sie hastig fort, »aber dann bin ich natürlich wieder nach Hause gegangen – nach nebenan, du weißt schon –, um Tee zu kochen für meine Familie, und dann hab ich das Geschrei gehört, und das ist mir verdächtig vorgekommen, mein Lieber, da bin ich dann zurückgegangen, um nachzusehen, und hab nach deiner Mutter gerufen, gefragt, ob alles in Ordnung ist, und da kamen diese beiden schrecklichen jungen Männer aus dem Haus gestürmt, wirklich gestürmt , mein Lieber, da bin ich natürlich reingegangen … und dann … deine arme Mutter … da hab ich dann gleich die Polizei angerufen und den Rettungswagen und Dr. Williams … und so.« Sie sah aus, als erwarte sie mindestens ein freundliches Schulterklopfen für soviel Geistesgegenwart, aber Steve war zu solchen Reaktionen nicht mehr fähig.
    Auch der Polizist wußte es nicht zu würdigen. Er sagte zu ihr: »Und Sie können immer noch nicht mehr über das Auto sagen, mit dem sie weggefahren sind?«
    »Es war dunkel«, verteidigte sie sich.
    »Ein heller Wagen, mittelgroß. Ist das alles?«
    »Ich achte nicht groß auf Autos.«
    Niemand gab zu bedenken, daß sie auf dieses Auto aber schon hätte achten müssen. Alle dachten es.
    Ich räusperte mich und wandte mich zaghaft an den Polizisten. »Ich weiß nicht, ob es Ihnen weiterhilft, und sicher haben Sie Ihre eigenen Leute dafür, aber ich habe eine Kamera im Wagen, vielleicht könnten Sie ein paar Aufnahmen vom Schauplatz hier gebrauchen?«
    Er hob die Augenbrauen, überlegte kurz und sagte ja. Ich holte beide Kameras und machte zwei Bilderserien, eine in Farbe, eine schwarzweiß, mit Nahaufnahmen von dem zerschlagenen Gesicht und Weitwinkelaufnahmen vom ganzen Raum. Steves Mutter ließ das Blitzlicht geduldig über sich ergehen, und es dauerte nicht lange.
    »Profi, was?« sagte der Polizist.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nur eine Menge Übung.«
    Er sagte mir, wo ich die Abzüge hinschicken sollte, und dann kam der Arzt.
    »Geh noch nicht«, sagte Steve zu mir, und ich sah die Verzweiflung in seinem angespannten Gesicht und blieb, saß während des ganzen geschäftigen Treibens auf der Treppe draußen in der Diele.
    Steve setzte sich zu mir und sagte: »Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich kann so nicht Auto fahren, und ich muß mich doch davon überzeugen, daß sie gut versorgt ist. Sie bringen sie für die Nacht ins Krankenhaus. Ich werde wohl ein Taxi nehmen …«
    Er fragte nicht direkt, aber die Frage stand im Raum. Ich unterdrückte einen leisen Seufzer und bot meine Dienste an, und er bedankte sich, als hätte ich ihm einen Rettungsring zugeworfen.
     
    Ich blieb dann schließlich über Nacht, denn als wir vom Krankenhaus zurückkamen, sah er so erschöpft aus, daß man nicht einfach wegfahren und ihn sich selbst überlassen konnte. Ich machte uns ein paar Omeletts, denn es war mittlerweile zehn und wir waren beide am Verhungern, da wir seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatten; anschließend räumte ich ein bißchen auf.
    Er saß auf dem Sofarand, bleich und angespannt und ohne ein Wort darüber zu verlieren, daß sein Bruch ganz schön weh tat. Vielleicht spürte er es kaum, obwohl ihm der Schmerz ins Gesicht geschrieben stand. Wenn er den Mund aufmachte, sprach er nur von seiner Mutter.
    »Ich bring sie um«, sagte er. »Diese Schweinehunde .«
    Mehr Mumm als Verstand, dachte ich, immer dasselbe. Wie die Sache sich angehört hatte, würden bei einem Aufeinandertreffen des gerade noch sechzig Kilo schweren Steve und der jungen Stiere die Schweinehunde das Umbringen besorgen.
    Ich fing ganz hinten im Zimmer an, sammelte jede Menge Zeitschriften und alte Briefe auf, außerdem Deckel und Unterteil einer fünfundzwanzig mal zwanzig Zentimeter großen Schachtel, die einmal Fotopapier enthalten hatte. Eine alte Bekannte.
    »Was soll ich mit dem Krempel machen?« fragte ich Steve.
    »Tu’s einfach irgendwo auf einen Haufen«, sagte er zerstreut. »Einiges stammt von dem Zeitschriftenständer drüben beim Fernseher.«
    Ein Zeitschriftenständer lag umgekippt auf dem Teppich.
    »Und das ist die Abfallschachtel von meinem Vater, das alte verbeulte orangene Ding da. Er hat sie bei den Zeitungen im Ständer aufbewahrt. Hat sie nie weggeworfen. Sie einfach da liegen lassen, Jahr für Jahr. Eigentlich komisch.« Er gähnte. »Mach dir

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