Reflex
er zu mir gewandt.
»Gut.«
»Ich möchte, daß du bleibst.«
Ich war überrascht, aber auch erfreut.
»Danke«, sagte ich.
Er gab mir einen unbeholfenen Klaps auf die Schulter, eine Geste, in der sich deutlicher als je zuvor eine leise Andeutung von Zuneigung offenbarte. Mehr als alle Drohungen und alles Geschrei der Welt hatte das zur Folge, daß ich ihm seinen Wunsch erfüllen wollte; eine archaische Reaktion, dachte ich flüchtig. Es passierte häufig, daß Freundlichkeit den Geist des Gefangenen brach, nicht Folter. Die eigene Abwehr richtete sich immer trotzig nach außen, um einer Aggression standzuhalten; Freundlichkeit schlich sich hinten herum und stach einen in den Rücken, so daß die eigene Willenskraft sich in Tränen und Dankbarkeit auflöste. Es war viel schwerer, sich gegen Freundlichkeit zu wappnen. Ich hatte nie gedacht, daß ich bei Harold mit diesem Problem konfrontiert werden könnte.
Instinktiv versuchte ich, das Thema zu wechseln, und das naheliegendste war George Millace und sein Foto.
»Hm«, sagte ich, während wir etwas verlegen dastanden. »Erinnerst du dich an die fünf Pferde von Elgin Yaxley, die erschossen wurden?«
»Was?« Er sah verwirrt drein. »Was hat das mit Victor zu tun?«
»Überhaupt nichts«, sagte ich. »Es ist mir nur gestern wieder eingefallen.«
Verärgerung vertrieb sofort die vorübergehend aufgekommenen Gefühle, worüber wir beide erleichtert waren.
»Herrgott nochmal«, sagte er scharf. »Ich meine es ernst. Deine Karriere steht auf dem Spiel. Du kannst verdammt nochmal tun, was dir Spaß macht. Du kannst dich von mir aus zum Teufel scheren. Es ist deine Sache.«
Ich nickte.
Er wandte sich abrupt ab und machte zwei entschlossene Schritte. Dann blieb er stehen, sah sich noch einmal um und sagte: »Wenn du dich so für Elgin Yaxleys Pferde interessierst, frag doch mal Kenny.« Er zeigte auf einen der Burschen, der gerade zwei Eimer am Wasserhahn füllte. »Er hat sich um sie gekümmert.«
Er drehte mir wieder den Rücken zu und schritt energisch davon, mit jedem Schritt Wut und Zorn herausstampfend.
Ich ging unentschlossen zu Kenny hinüber, ohne recht zu wissen, was ich ihn fragen sollte, oder ob ich ihn überhaupt etwas fragen sollte.
Kenny war ein Typ, dessen Abwehrverhalten gerade andersherum funktionierte: unempfänglich für Freundlichkeit, zu erschüttern durch Furcht. Kenny bewegte sich von Natur aus am Rande der Kriminalität, und er war von so überaus verständnisvollen Sozialarbeitern betreut worden, daß er jede freundliche Annäherung mit einem geringschätzigen Achselzucken abtat.
Er sah mir entgegen, mit einem bewußt leeren, an Unverschämtheit grenzenden Gesichtsausdruck – sein üblicher Gesichtsausdruck. Vom Wind gerötete Haut, leicht wässrige Augen, Sommersprossen.
»Mr. Osborne sagt, daß du für Bart Underfield gearbeitet hast«, sagte ich.
»Na und?«
Das Wasser schwappte über den Rand des ersten Eimers. Er bückte sich, um ihn wegzuziehen, und stieß mit dem Fuß den zweiten unter den Wasserhahn.
»Und du hast dich um die Pferde von Elgin Yaxley gekümmert?«
»Na und?«
»Hat’s dir leid getan, als sie erschossen wurden?«
Er zuckte die Achseln. »Kann sein.«
»Was hat Mr. Underfield dazu gesagt?«
»Hä?« Er glotzte mich quadratisch an. »Gar nix hat er gesagt.«
»War er wütend?«
»Hab nix davon gemerkt.«
»Muß er doch wohl«, sagte ich.
Kenny zuckte wieder die Achseln.
»Immerhin hat er fünf Pferde weniger gehabt«, sagte ich. »Und kein Trainer mit einem Stall, der nicht größer ist als seiner, kann sich das leisten.«
»Gesagt hat er nix.« Der zweite Eimer war fast voll, und Kenny drehte den Wasserhahn ab. »Hat ihn wohl nich’ weiter gekratzt, daß er die verloren hat. Bißchen später hat ihm aber irgendwas gestunken.«
»Was denn?«
Kenny sah gelangweilt drein und ergriff die Eimer. »Weiß nich’. Er war total muffelig. Paar von den Besitzern haben es satt gekriegt und sind gegangen.«
»Und du auch«, sagte ich.
»Logisch.« Er lief quer über den Hof, und bei jedem Schritt schwappte das Wasser aus den Eimern. Ich ging neben ihm her, sorgsam darauf bedacht, nicht naß zu werden. »Hat kein’ Sinn, in ’nem Laden zu bleiben, der den Bach runtergeht.«
»Waren Yaxleys Pferde gut in Form, als sie zur Farm gekommen sind?« fragte ich.
»Klar.« Er war etwas erstaunt. »Warum fragen Sie?«
»Einfach so. Jemand hat die Pferde erwähnt – und Mr. Osborne hat gesagt, daß du sie
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